Brüssel/Warschau Welche Sanktionen Polen nun drohen

Brüssel/Warschau · Seit gestern läuft das Strafverfahren der EU-Kommission gegen Warschau. Ob es jemals abgeschlossen wird, ist aber fraglich.

Erstmals hat die EU-Kommission gegen ein Mitgliedsland ein Verfahren wegen möglicher Verletzung der demokratischen Grundwerte eingeleitet. Gestern aktivierte sie den Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Polen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Wie begründet Brüssel das Verfahren gegen Polen?

Die EU-Kommission sieht dort eine ernsthafte Gefährdung des Rechtsstaats. Die nationalkonservative Regierung in Warschau habe in den beiden vergangenen Jahren 13 Gesetze verabschiedet, die nach Auffassung der Brüsseler Behörde der regierenden Mehrheit die Möglichkeit geben, systematisch in das Funktionieren des Justizapparats einzugreifen und damit auch die Gewaltenteilung auszuhöhlen. Die Kommission begründet ihren Schritt auch mit der grundsätzlichen Bedeutung des Falls: Sollte die Anwendung der Rechtsstaatlichkeit völlig dem Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen werden, sei die gesamte Europäische Union gefährdet, warnte ihr Vizepräsident, Frans Timmermans.

Was wird konkret kritisiert?

Die EU-Kommission bemängelt insbesondere das Recht des polnischen Justizministers, Gerichtspräsidenten nach Gusto zu ernennen und zu entlassen. Damit habe die politische Mehrheit in Polen die Möglichkeit, in allen drei Gewalten des Staates alles zu bestimmen, was klar gegen die EU-Grundsätze verstoße. Dies hatten übrigens auch die Verfassungsexperten des von der EU unabhängigen Europarats, in dem Polen ebenfalls Mitglied ist, scharf kritisiert.

Drohen Polen jetzt Sanktionen?

Mit der Aktivierung von Artikel 7 beginnt ein mehrstufiges Verfahren. Zunächst müssen mindestens 22 der 28 EU-Staaten, also eine Mehrheit von vier Fünfteln, nach einer Anhörung der polnischen Regierung entscheiden, ob die Vorwürfe zutreffen. Erst danach könnte die offizielle Feststellung erfolgen, ob in Polen dauerhaft die Werte der EU verletzt werden. Erst wenn diese Frage von allen anderen EU-Mitgliedstaaten mit Ja beantwortet wird (Polen stimmt als Beklagter nicht mit), können Sanktionen beschlossen werden. Im Vorfeld hatte Ungarn aber schon angekündigt, gegen einen solchen Beschluss im Europäischen Rat sein Veto einzulegen. Dem Land werden von anderen EU-Mitgliedstaaten ebenfalls Verstöße gegen Grundwerte vorgeworfen.

Wie könnten Strafen aussehen?

Sollte es wider Erwarten trotzdem zu einer einstimmigen Verurteilung Polens kommen, drohten dem Land schmerzhafte Sanktionen. So könnten die polnischen Mitbestimmungsrechte in EU-Angelegenheiten durch Entzug des Stimmrechts eingeschränkt werden. Es könnte aber auch zu Kürzungen bei den Subventionen kommen. Dies würde das Land empfindlich treffen: Polen bezieht derzeit mehr Fördermittel aus Brüssel als jedes andere EU-Mitglied. Um solche Strafmaßnahmen zu verhängen, ist eine qualifizierte Mehrheit notwendig, die sich aus 55 Prozent der Mitgliedstaaten zusammensetzt, die wenigstens 65 Prozent der Bevölkerung der EU repräsentieren müssen.

Was kann Polen dagegen tun?

Die Regierung in Warschau hat zunächst drei Monate Zeit, um die förmliche Beantragung von Artikel 7 noch abzuwenden. Dafür müsste sie allerdings bei der Justizreform einlenken oder der Kommission wenigstens einen Kompromiss anbieten, was aber nicht zu erwarten ist. Immerhin ignoriert die Regierung in Warschau bereits seit zwei Jahren alle Warnungen aus Brüssel. Unabhängig davon kann Polen aber gegen jeden Verfahrensschritt nach Artikel 7 vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Der Rechtsstreit könnte sich über Jahre hinziehen. Warschau signalisiert jedenfalls keine Kompromissbereitsschaft: Ausgerechnet gestern kündigte Präsident Andrzej Duda an, zwei kritisierte Justizgesetze zu unterschreiben.

Wie verhalten sich die anderen EU-Mitglieder?

Abgesehen von Ungarn, wo Ministerpräsident Viktor Orbán eine ähnliche Politik verfolgt wie die Regierung in Warschau, unterstützen die übrigen EU-Staaten das Vorgehen gegen Polen. So haben sich neben Deutschland mit Großbritannien und Frankreich vor allem die Großen eindeutig hinter die Kommission gestellt. Und auch aus dem Europaparlament kommt viel Zustimmung. Das ist auch deswegen von Bedeutung, weil das Parlament mit Zweidrittelmehrheit zustimmen muss, bevor sich der Rat der Mitgliedsländer mit möglichen Strafmaßnahmen gegen Polen befasst.

(RP)
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