Total digital Was wurde aus „Wo bisse?“

Handys machen uns permanent erreichbar - doch die Sache hat einen blauen Haken.

Ich weiß noch, wie es mit der Überwachung anfing: Ich war 13 Jahre alt und hatte mein erstes Handy - genau wie meine Freunde. Es war ungewohnt, nicht mehr zu Hause anrufen zu müssen, weshalb die erste Frage immer war: "Wo bisse?" Meistens war die Antwort: zu Hause.

Bevor es Smartphones, Facebook und Whatsapp gab, haben wir uns zum Spielen rausgeklingelt oder in der Schule verabredet. Und wenn wir zu Verwandten gefahren sind und nicht pünktlich da waren, haben die sich einfach gedacht: Ach ja, Stau. Seit es Handys gibt, denken sie: Hoffentlich ist nichts passiert.

Mit dem Handy wurde Kommunikation zur Pflicht - denn nun war man ja tatsächlich überall erreichbar. Also kann man ja wohl erwarten, dass sich der Andere meldet, wenn er im Stau steht. Gleichzeitig ging Verbindlichkeit verloren: Früher musste man pünktlich sein, wenn man sich um 15 Uhr verabredet hatte, weil der andere ja wartete. Heute kann man sich kurzfristig abstimmen, weil man es doch mal wieder nicht rechtzeitig schafft.

Zuletzt ist mir aufgefallen, wie sehr mich diese Entwicklung verändert hat. Bei Whatsapp wird mit zwei blauen Haken angezeigt, ob jemand die Nachricht gelesen hat oder nicht. Manche Menschen haben das ausgestellt - mich macht das wiederum nervös, wenn ich mit ihnen kommuniziere, weil es sich ein Stück weit nach Kontrollverlust anfühlt. Bei anderen wiederum, die die blauen Haken aktiviert haben, werde ich nervös, wenn Nachrichten wenige Minuten später noch nicht die beiden blauen Haken haben - könnte ja was passiert sein.

Ich glaube, dass dieses Gefühl auch in andere Lebensbereiche ausstrahlt, weil die Überwachungstechnik uns zwar vermeintliche Sicherheit und Kontrolle gebracht, uns aber gleichzeitig einer Sache beraubt hat, die meine Mutter früher Gottvertrauen nannte.

Ich wünsche mir wieder mehr davon, Smartphone hin oder her.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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