Kolumne Berliner Republik Warum Stürzen schlimmer ist als Umfallen

Zwischen dem Ruf des klugen Kompromisse-Schließers und dem Etikett "Umfaller" ist der Grat schmal in der Parteipolitik. Das gilt zum Beispiel für den Eiertanz der SPD um die Vorratsdatenspeicherung.

Kolumne Berliner Republik: Warum Stürzen schlimmer ist als Umfallen
Foto: Phil Ninh

Umfallen und stürzen sind in der Politik zwei Verben mit völlig verschiedener Bedeutung. Ein Politiker, der über private oder finanzielle Affären oder nur über die eigene Ungeschicklichkeit stürzt, ist seinen Job los. Ein Politiker, der umfällt, erleidet zwar einen Image-Schaden, kann in der Regel aber weiterregieren.

An den berühmtesten Fall sei im Jahr 25 der deutschen Einheit erinnert: Im Wahlkampf 1990 versprach Bundeskanzler Helmut Kohl, dass es im Zusammenhang mit der Einheit keine Steuererhöhung geben werde. Wenige Wochen später zeigte ihn die "Bild"-Zeitung zu Recht um 90 Grad gedreht mit der Überschrift "Umfaller". Denn die Regierung Kohl erfand kurzerhand den "Soli". Diese 7,5 Prozent Aufschlag auf die Einkommensteuer müssen wir heute noch berappen. Bund und Länder verhandeln nun darüber, ob man das Geld zwischen Ost und West künftig anders verteilt.

Bei der SPD gibt es einen ähnlichen Sündenfall: Vor der Wahl 2005 versprachen die Sozialdemokraten, dass sie die Mehrwertsteuer nicht antasten würden. Die Union hingegen wollte nach der Umfaller-Erfahrung ehrlich sein und stellte die Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte in Aussicht, was ebenfalls nicht clever war. In der großen Koalition einigte man sich dann auf die Erhöhung um drei Prozentpunkte. Peinlich, peinlich.

Vorratsdaten sind nun ein nicht ganz so heißes Eisen wie Steuern, beziehungsweise ist die Gruppe der Wähler, die bei diesem Thema genau hinschaut, einfach ein bisschen kleiner. Das wiederum hat Justizminister Heiko Maas (SPD) den Kragen gerettet, der noch im Dezember munter beim Kurznachrichtendienst Twitter zwitscherte, Vorratsdatenspeicherung lehne er entschieden ab; es werde "kein deutsches Gesetz" geben. Dann musste er dem Druck seines Parteichefs nachgeben und doch ein Gesetz schreiben, dass die Sicherheitsbehörden ohne Anlass die Telekommunikationsdaten der Bevölkerung speichern dürfen. Maas hatte Glück im Unglück und schmiedete mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) einen Kompromiss, der ihn das Gesicht wahren ließ. Damit ist er haarscharf am Umfaller-Image vorbeigeschliddert und in der Abteilung "kompromissfähig" gelandet.

Unsere Kanzlerin ist für ihre 180-Grad-Drehungen geradezu berüchtigt. Ihr gelang es allerdings oft, Kehrtwenden als Fortschritt zu verkaufen, so beim Atomausstieg und bei der Aussetzung der Wehrpflicht. Auch das Kapitel Pkw-Maut ist noch nicht geschlossen. Im Wahlkampf hatte Merkel kundgetan, die werde es mit ihr nicht geben. Am Ende wird sie sich bei der EU bedanken müssen, wenn die Maut ausbleibt.

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(RP)
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