Köln Wahlkampfkick eines Kanzlerkandidaten

Köln · SPD-Chef Martin Schulz will mit seiner Sommerreise für das Parteiprogramm werben. Überlagert wird die Tour durch NRW jedoch von der zunehmend hart geführten Debatte um die G 20-Ausschreitungen.

Für Martin Schulz geht an diesem verregneten Mittwoch ein Traum in Erfüllung. Zum ersten Mal darf er auf dem Rasen des 1. FC Köln ein paar Bälle treten. Mit glatter Ledersohle, in Anzug und Krawatte passt er jungen Flüchtlingsmädchen zu, die Mitglieder eines Integrationsprojekts des Vereins sind. Er bestaunt den Hackentrick einer Spielerin, versucht es selbst aber lieber nicht. "Dafür müsste ich andere Schuhe haben", sagt er knapp.

Eigentlich wollte der SPD-Chef aus der Kleinstadt Würselen bei Aachen Fußballer werden, sehnte sich einst nach einer Karriere als Profi. Ein kaputtes Knie habe das zunichte gemacht, erzählt Schulz oft und gerne in diesem Wahlkampf. Dennoch zieht er Parallelen aus dem Sport zu seinem Job als Kanzlerkandidat im Wahlkampf. "Die Fähigkeit, die man entwickeln muss, wenn man Fan des 1. FC Köln ist: nie aufgeben", sagt Schulz. "Und den Kölschen Dreisatz beherzigen: Et es wie et es, et kütt wie et kütt, et hät noch immer jot jejange!" Das also ist jetzt sein Motto für den Kampf ums Kanzleramt, eine Mischung aus Fatalismus und Optimismus?

Schulz scheint jedenfalls ein geeignetes Rezept noch nicht gefunden zu haben. Bei den persönlichen Beliebtheitswerten liegt er weit abgeschlagen hinter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die SPD erreicht derzeit nur rund 25 Prozent, die Union kratzt hingegen an der 40-Prozent-Marke. Und wieder einmal kommt für den SPD-Herausforderer auch noch Pech im Wahlkampf hinzu, womit sich eine Serie fortsetzt.

Auf seiner Sommerreise, die ihn erst nach Bayern führte, jetzt nach NRW und zum Ende der Woche nach Hamburg, will er sein Wahlprogramm mit schönen Bildern von Unternehmensbesuchen oder vom Kicken im Kölner Stadion öffentlichkeitswirksam unterfüttern. Doch die Debatte um die Folgen der Ausschreitungen beim G 20-Gipfel verhindert das bisher. Es wird nun mehr über den Frontalangriff von Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) auf Merkel geredet als über die SPD-Ideen zur Bildungspolitik, die Schulz bei einem Ausbildungsprojekt des Dormagener Chemieparks gestern anriss.

Gabriel hatte am Dienstag in ungewöhnlich scharfer Weise der Union Verlogenheit und einen perfiden Wahlkampf vorgeworfen. Schulz betonte gestern, die Äußerungen Gabriels seien mit ihm abgesprochen gewesen. Also war es Strategie, dass nun der Vizekanzler de facto das Arbeitsverhältnis zur Union aufkündigte? Warum machte das nicht Schulz selbst? Schließlich wurde sein Verzicht auf Übernahme eines Regierungsamtes während der Kanzlerkandidatur doch auch damit begründet, dass er so mehr Beinfreiheit für Angriffe habe.

Eins wird bei diesem Reisetag, der auch in Schulz' Heimat Würselen führt, deutlich: Der SPD-Chef empfindet die Äußerungen aus der Union als ernsten Angriff auf seine Partei - und in Teilen auch auf sich selbst. Damit ist der Zoff um den G 20-Gipfel geeignet, dem Wahlkampf für die Zeit bis zum 24. September einen neuen Sound zu geben. Es dürfte nun ruppiger zugehen in der Auseinandersetzung mit der Union. Dabei war Schulz mit dem Mantra angetreten, im Wahlkampf den Respekt vor dem Gegner nicht verlieren zu wollen. Das Rennen um das Kanzleramt, so hieß es damals, könne auch eine Sternstunde der Demokratie werden.

Es war als eine klare Abgrenzung zum diffamierenden US-Wahlkampf gedacht, jetzt verschärft sich aber auch hierzulande die Wortwahl. Das zeigen insbesondere die direkten Vorwürfe gegen die Bundeskanzlerin. Angela Merkel (CDU) warf er vor, sie habe ihren Regierungssprecher und Kanzleramtsminister öffentlich Krokodilstränen vergießen lassen, aber gleichzeitig führende Unionspolitiker losgeschickt, um die SPD zu verleumden und in die Nähe von Linksextremisten zu rücken. "Das ist, wie Sigmar Gabriel es genannt hat, perfide", sagte Schulz gestern. Dabei wird offenbar, wie schwierig es nach dem Wahlkampf werden dürfte, bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen die SPD-Basis noch einmal von einer Neuauflage der großen Koalition unter Merkel zu überzeugen.

(jd)
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