Analyse Viel FPÖ in Österreichs Regierung

Wien · Die konservative ÖVP und die rechtspopulistische FPÖ haben sich in Österreich auf eine Koalition geeinigt. Bis auf Kanzler Kurz selbst hat kein Mitglied des neuen schwarz-blauen Kabinetts Regierungserfahrung vorzuweisen.

Der Kahlenberg, der Hausberg der Wiener, ist ein beliebtes Tagesausflugsziel, lässt aber selten einen klaren Blick auf die österreichische Hauptstadt zu. Im Sommer ist die Sicht meist dunstig, im Winter neblig. Just dort oben in einem Hotel haben Sebastian Kurz, Chef der konservativen ÖVP und neuer Bundeskanzler, und Heinz-Christian Strache, Anführer der rechten FPÖ und Vizekanzler, am Wochenende ihr Regierungsprogramm für die nächsten fünf Jahre präsentiert. Der Blick hinein in das 180-Seiten-Konvolut ist ähnlich diffus: viele Überschriften, Absichtserklärungen und Binsenweisheiten, aber wenig Konkretes, was zeitliche Vorgaben, Details und Absichten betrifft.

Von "neu Regieren" und "neuem Stil" war im Wahlkampf ständig die Rede. Das Zauberwort "Veränderung" hat die ÖVP am 15. Oktober wieder zur stärksten Partei (31,5 Prozent der Stimmen) gemacht und in der Folge den 31-jährigen Kurz zum jüngsten Regierungschef Österreichs und Europas. Der große Wurf aber, der Österreichs teures und träges System zukunftsfit machen soll, fehlt in dem Programm. Die Reformen beschränken sich auf Strukturverbesserungen in der Verwaltung und im Sozialsystem, die aber laut einhelliger Meinung vieler Experten nicht ausreichen werden, um die versprochenen Einsparungen in Höhe von 14 Milliarden Euro gegenfinanzieren zu können.

Gesichert ist lediglich, dass die neue schwarz-blaue Regierung der Wirtschaft mit Steuersenkungen - Spitzensatz unter 40 Prozent - und Entbürokratisierung unter die Arme greifen will. Und dass im Gegenzug die Arbeitszeiten liberalisiert und die Sozialausgaben gestutzt werden, weshalb Gewerkschaften bereits für Streiks zu rüsten beginnen.

Einen neuen Stil lieferte Kurz lediglich bei den Koalitionsverhandlungen und bei der Zusammensetzung der Regierung: Er verzichtete auf die politische Erfahrung der Altvorderen in der Partei und begnügte sich mit seiner eigenen, jungen Entourage. Auch die Besetzung der Ministerposten nahm er offensichtlich im Alleingang vor, denn aus den Parteigremien ist Murren zu hören. Nicht zuletzt, weil Kurz der erste Parteichef ist, der bei der Besetzung von Regierungsposten keine Rücksicht auf die traditionellen ÖVP-Bünde (Wirtschaft, Bauern, Beamte) nahm.

Das einzige Mitglied mit Regierungserfahrung im Kabinett ist Kurz selbst, zunächst Staatssekretär und zuletzt Außenminister. Sämtliche Ministerposten wurden mit Neulingen besetzt, die es auf ein Durchschnittsalter von unter 50 Jahren bringen. Den unwesentlich älteren Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel machte Kurz zu seinem Kanzleramtsminister. Die Neugier der Medien versuchte man mit Häppchen zu stillen, beispielsweise bei den Themen Studiengebühren (werden wieder eingeführt) oder Rauchverbot (wird gekippt), die sich vortrefflich eigneten, von Personaldebatten über FPÖ-Ministerkandidaten mit fragwürdigem Hintergrund abzulenken.

Bei der FPÖ-Ministerriege hatte Kurz offenbar wenig mitzureden, denn Strache brachte zwei seiner Gefolgsleute durch, die wegen ihrer radikalen Sprüche bereits heftige Proteste hervorrufen, noch ehe sie im Amt sind: Die neuen Minister für Inneres, Herbert Kickl, und Verteidigung, Mario Kunasek. So sind für heute Vormittag anlässlich der Vereidigung der neuen schwarz-blauen Regierung neun Demonstrationszüge polizeilich angemeldet, der Ballhausplatz, das Regierungsviertel, wird weiträumig abgesperrt.

Der Protest trifft auch Kurz, der aus Koalitionsräson beide "Sicherheitsministerien" der rechten FPÖ überlässt, die damit auch die Kontrolle über die Geheimdienste bekommt. Zwar besteht eine Berichtspflicht beider Ministerien an das Kanzleramt, doch dass die FPÖ es mit Datenschutz nicht genau nimmt, zeigt ein Skandal aus der ersten schwarz-blauen Koalition (2000-2006). Damals hatte die FPÖ über einen Mittelsmann im Innenministerium direkten Zugriff auf geheime Sicherheits- und Personaldaten.

Kickl, 49, bislang Straches Generalsekretär, ist als neuer Innenminister auch Herr über die Migrationspolitik, die Kurz als Außenminister immer mehr der FPÖ angenähert hat. Aus Kickls Feder stammen Parolen wie "Daham statt Islam" oder "Wiener Blut - zu viel Fremdes tut niemandem gut". Und dem neuen Verteidigungsminister Kunasek, 41, einem Bundesheerunteroffizier und bislang Straches Statthalter in der Steiermark, werden Kontakte zur rechtsradikalen Szene, namentlich den Identitären, nachgesagt.

Ein heikles Thema bleibt die Europapolitik. FPÖ-Chef Strache, bislang als EU-Gegner bekannt, hat sich bemerkenswert gelassen vom neuen Kanzler das Bekenntnis zu Europa abringen lassen. Kurz drohte sogar indirekt mit dem Platzen der Koalitionsverhandlungen: "Meine Regierung wird europa-gesinnt sein, oder es wird sie nicht geben." Aber am Ende findet sich im Regierungsprogramm die zahme Formulierung, in Europa solle das Subsidiaritätsprinzip vorherrschen, wonach die Europäische Kommission sich nur um "die großen Fragen" kümmern, die lokalen Angelegenheiten aber den Mitgliedsländern überlassen solle. Das bietet sehr breiten Interpretationsspielraum, so dass Strache damit gut leben kann. Auch seine europäischen Gesinnungsgenossen, die sich am Wochenende in Prag trafen, bleiben ihm treu: Le Pen und Konsorten feierten den Einstieg der FPÖ in die österreichische Regierung als "wahrlich historisches Ereignis".

Lediglich beim Thema direkte Demokratie hat sich Strache ein blaues Auge geholt. Kurz hat die Hürde für Volksabstimmungen massiv erhöht, von vier Prozent der Stimmberechtigten auf 15 Prozent. Zudem rang Kurz der FPÖ die Zusage ab, dass Themen wie der Austritt Österreichs aus der EU tabu sind.

(RP)
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