Analyse Vertrauliche Geburt statt Babyklappe

Berlin · Seit einem Jahr können Schwangere in Not ihr Kind zur Welt bringen, ohne es behalten zu müssen. Die Kinder dürfen später erfahren, wer ihre Mütter sind. 95 Fälle gab es bisher. Die umstrittenen Babyklappen bleiben vorerst.

Vertrauliche Geburt statt Babyklappe
Foto: Lothar Berns

Schwangere, die ihr Kind heimlich zur Welt bringen wollen, haben dafür immer schwerwiegende persönliche Gründe. Möglicherweise sind sie Opfer einer Vergewaltigung geworden, andere fürchten sich vielleicht vor dem gewalttätigen Vater des Kindes, wieder andere geraten beim Gedanken an ein Neugeborenes in Panik oder sind überfordert. Für diese Frauen gibt es seit einem Jahr die Möglichkeit einer sogenannten vertraulichen Geburt: Sie können ihr Kind in einem Krankenhaus gebären und abgeben, ohne Angaben zur eigenen Person machen zu müssen. Gleichwohl sind ihre Daten an anderer Stelle hinterlegt und für das Kind ab einem Alter von 16 Jahren einsehbar. So soll vermieden werden, dass immer mehr Findelkinder zur Welt kommen, die später keine Chance haben herauszufinden, wer ihre Eltern sind - eines der Hauptprobleme bei Babyklappen oder der anonymen Geburt.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat nach dem ersten Jahr des Gesetzes nun Bilanz gezogen und zeigte sich positiv überrascht: Demnach haben sich seit Mai 2014 bundesweit insgesamt 95 Frauen für eine vertrauliche Geburt entschieden. "Wir sehen heute, dass dieses Gesetz wirkt", sagte Schwesig gestern in Berlin. Zudem hätten sich von den 95 vertraulichen Geburten fünf Frauen doch noch für das Kind und gegen die Anonymität ausgesprochen, teilte die Familienministerin mit. Ihre Amtsvorgängerin Kristina Schröder (CDU) hatte diese Erweiterung des Angebots für Schwangere in Notsituationen angeschoben. Schwesig unterstützte das Gesetz damals, hatte aber nach eigenen Angaben mit weitaus geringeren Fallzahlen im ersten Jahr gerechnet.

Für die Betroffenen soll der Weg einer vertraulichen Geburt einfach zu beschreiten sein. So können sich Frauen an eine Schwangerschaftsberatung wenden, bei der in vertraulichen Gesprächen kostenfreie Hilfe angeboten wird. Wo die nächste Beratungsstelle ist, kann auf der Internetseite www.geburt-vertraulich.de abgefragt werden.

Über diese Beratungsstelle wird später der Name der Mutter in einem verpflichtenden Herkunftsnachweis festgehalten, der beim Bundesamt für Familie hinterlegt ist. Nach der Geburt, für die der Bund die Kosten übernimmt, werden die Säuglinge zur Adoption freigegeben. Den Vornamen des Kindes darf aber die Mutter bestimmen - ansonsten übernimmt das Jugendamt die Namenswahl. Frühestens 16 Jahre später kann das Kind beim Bundesamt erfragen, wer seine biologische Mutter ist. Der Vater bleibt hingegen im gesamten Prozess anonym.

Sollte aber auch die Mutter dauerhaft anonym bleiben wollen, kann sie in den ersten 15 Jahren nach der Geburt beim Familiengericht zu erwirken versuchen, dass das Kind keine Auskunft bekommen darf. Sollte eine Mutter ihr Baby hingegen überraschend doch behalten wollen, muss sie dem gerichtlichen Adoptionsverfahren zuvorkommen, das meist nach einem Jahr abgeschlossen ist. Ist das Kind erst einmal offiziell adoptiert, hat die biologische Mutter kein Recht mehr auf Rücknahme.

Auch wenn es vor der Einführung des Gesetzes eine heftige und emotional aufgeladene Debatte in Deutschland gab: Die Diakonie zog gestern ebenfalls eine erste positive Bilanz. "Die vertrauliche Geburt ist ein voller Erfolg", sagte Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik des evangelischen Wohlfahrtsverbands. Kritiker verweisen hingegen auf die noch unklaren Wirkungen des Angebots. So habe die Einführung der vertraulichen Geburt primär das Ziel, Schwangere und Kinder bei der Geburt zu schützen und Kindstötungen zu vermeiden. Auch die Zahl der in Babyklappen abgegebenen Neugeborenen solle sich durch das Angebot verringern. Schließlich hätten Kinder, die in Babyklappen landen, später keine Chance, herauszufinden, wer ihre Eltern sind. Auch die Geburt findet dann oft unter hohem Gesundheitsrisiko ohne ärztliche Betreuung statt.

Beim Kinderhilfswerk Terre des Hommes verzeichnete man zuletzt auf Basis von Pressemeldungen einen leichten Rückgang bei der Zahl getöteter Kinder. So wurden 2014 insgesamt 16 Neugeborene tot aufgefunden, fünf weniger als noch 2013. Nach Angaben der Organisation gab es 2012 offiziell 27 Kindstötungen und 2011 ebenfalls 16. "Die Schwankungen der Zahlen lassen vermuten, dass wir es mit unterschiedlichen Problemen und Schicksalen der Frauen zu tun haben, auf die weder Babyklappen noch das Angebot einer vertraulichen Geburt Einfluss haben", sagte ein Sprecher des Kinderhilfswerks. Gerade weil es bisher keinen Beweis für weniger Kindstötungen wegen der Existenz von Babyklappen gebe, lehne man diese weiterhin ab. Schließlich werde die Zahl der anonym abgegebenen Neugeborenen gar nicht erfasst, sagte der Sprecher. Bisherige Schätzungen gehen aber von mehreren Hundert Fällen in den ersten zehn Jahren nach der Einführung von Babyklappen 1999 aus.

Nun lässt das Familienministerium vom Institut Interval prüfen, inwiefern das Angebot der vertraulichen Geburt die Zahl der Abgaben von Kindern bei Babyklappen beeinflusst hat. Evaluationsleiter Jörg Sommer betonte unterdessen, dass Frauen aus allen sozialen Schichten und Altersklassen in Notlagen geraten könnten. Dass die Babyklappen weiter existieren, ist aus Sicht von Ministerin Schwesig kein großes Problem. Im Gegenteil: Je mehr Optionen es für Frauen in Not gebe, umso besser, so die Ministerin. Sie stört aber, dass einige Betreiber der Babyklappen in ihren Broschüren und im Internet nicht auf die Möglichkeit der vertraulichen Geburt hinweisen. So auch die Helios-Klinik in Schwesigs Wahlkreis Schwerin, die auf ihrer Internetseite keinen Link zum Beratungsangebot der Ministerin aufführt. Das wolle man nachholen, sagte ein Klinik-Sprecher auf Anfrage.

(jd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort