Erster Parteitag nach dem Bundestags-Rauswurf Vermisst, aber nicht gewählt: Schafft die FDP den Neustart?

Berlin · Eigentlich ist die FDP ein Fall für die Couch: Von ganz vielen vermisst, aber nur von sehr wenigen gemocht. Sie kommt und kommt nicht raus aus dem Umfragekeller. Die spannende Frage ist, ob Christian Lindner das beim großen therapeutischen Aufarbeitungsparteitag an diesem Wochenende wenden kann.

Die FDP - eine schrecklich nette Familie
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Vorher und nachher: Als der künftige FDP-Chef Christian Lindner (34) diesen Sommer noch belustigt zum öffentlichen Interesse an seiner Eigenhaartransplantation twittern konnte, da amüsierte sich sein Umfeld über die Beweisfotos in den Medien, die angeblich Lindners schütteren und dann wieder volleren Haarschopf "vorher" und "nachher" zeigten. Denn sie wussten: "Es war beides nachher." Bei den aktuellen Umfragewerten zeigt sich ebenfalls keine Veränderung für die Liberalen. Vor wie nach den Bundestagswahlen liegen sie nur bei deprimierenden drei Prozent. Dabei bedeutet der Unterschied zwischen vorher und nachher momentan für die FDP die Welt: Vor den Wahlen hatten sie im Bundestag die größte Fraktion aller Zeiten, machten mit fünf Ministern Regierungspolitik. Danach kämpfen sie um ihre Existenz. Und auf einen richten sich nun alle Blicke: Lindner soll die Partei retten.

Die Startbedingungen scheinen dafür sogar sehr günstig zu sein: Nach dem aktuellen "Deutschlandtrend" würden es 59 Prozent der Deutschen bedauern, wenn es keine FDP mehr gäbe. Das können nicht nur Zuschauer der satirischen "heute-show" sein, deren Lieblings-Spott-Objekt abhanden gekommen ist. Auf die Frage, ob die FDP nicht mehr gebraucht wird, antworten 62 Prozent mit Nein. Die absehbare Politik der großen Koalition wirkt offensichtlich wie ein Jungbrunnen für liberale Ideen: Vor den Koalitionsverhandlungen waren es nur 46 Prozent. Wenn die Liberalen ein Potenzial von 15 bis 20 Prozent der Wähler haben und sich von diesen jeder Dritte laut einer FDP-internen Untersuchung jetzt schon vorstellen kann, im nächsten Frühjahr wieder FDP zu wählen, dann kommen die Liberalen sauber ins Europa-Parlament.

Raum für Rösler

Bleibt es aber so verhext wie in den vergangenen drei Jahren, dann könnte die FDP sogar an der Drei-Prozent-Hürde scheitern und wäre für lange Zeit ohne Chancen auf öffentliche Wahrnehmung. Es geht also um verdammt viel, wenn sich an diesem Samstag in Berlin die Delegierten um einen Neuanfang bemühen. Doch der steht zunächst einmal gar nicht im Vordergrund. Erst einmal beansprucht der scheidende Parteichef Philipp Rösler viel Raum für Rückblick und Aufarbeitung. Auf einer ganzen Reihe von Kreis-, Bezirks- und Landesparteitagen haben sich die FDP-Mitglieder bereits mit der langen Liste möglicher Fehler herumgequält. Der Schock sitzt tief, und so betrachten erfahrene FDP-Strategen die vermutlich mehrere Stunden dauernde Debatte an diesem Samstag als therapeutisches Element der Aufarbeitung. Es soll nichts und niemand geschont werden. Vorsichtshalber hat der scheidende Generalsekretär Patrick Döring die Kanone schon mal auf die eigenen Reihen gerichtet und den Rassismus beklagt, der sich im Wahlkampf selbst aus der FDP-Mitgliedschaft hinaus gegen "den Vietnamesen" kundgetan habe.

Auf ein Bier mit Guido Westerwelle und Christian Lindner
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Sonntag sollen die Signale dann auf Aufbruch gestellt werden. Aber FDP-gemäß nicht ohne Streit. Selbst um den Chefposten werden Kampfkandidaturen erwartet. Doch die Chancen, die Götz Galuba aus Berlin und Jörg Behlen aus Marburg gegen Christian Lindner haben, dürften sich an ihrem jeweiligen bundespolitischen Bekanntheitsgrad ablesen lassen: 100:0:0.

Ein ziemliches Gerangel zeichnet sich um die weiteren Positionen an der Parteispitze ab. Lindner hat sich im Vorfeld bemüht, eine breite Mannschaftsaufstellung zu erreichen und dabei Alt und Jung, Mann und Frau, Ost und West gleichermaßen zusammengeholt. So soll Hermann Otto Solms (73) wieder Schatzmeister werden, Nicola Beer (43) den Job der Generalsekretärin übernehmen, die Düsseldorferin Marie-Agnes Strack-Zimmermann für die vielen Kommunalpolitiker stehen, auf die es jetzt vor Ort beim Neuaufbau der FDP ganz besonders ankommt, der talkshowerprobte Wahlsieger Wolfgang Kubicki (61) ein weiterer Stellvertreter werden, Uwe Barth (49) aus Thüringen den Aufbruch Ost vertreten, Michael Theurer (46) für den Neustart in Baden-Württemberg auch bundesweit verantwortlich zeichnen.

Auch Stefan Birkner (40) aus Niedersachsen, Volker Wissing (43) aus Rheinland-Pfalz und Katja Suding (37) aus Hamburg gelten als vorzeigbar und verlässlich. Schwer tut sich Lindner jedoch mit einer weiteren Kandidatur: Auch Frank Schäffler (44) aus NRW strebt an die Spitze. Er ist erklärter Gegner der bisherigen Euro-Politik der FDP, bescherte der Partei sogar einen Mitgliederentscheid. Den verlor er zwar, ging danach aber munter weiter auf Konfrontationskurs. Insofern entscheidet sich bei den Präsidiums- und Vorstandswahlen auch schon ein Stück, wie breit sich die FDP künftig auch inhaltlich aufstellen will. Die Brisanz der Debatten im Innern ist damit zwar wieder garantiert. Doch als außerparlamentarische Liberale ist es für die reale Machtpolitik derzeit ohne Belang, wie Lindner die Partei ausrichtet.

FDP zukünftig nicht automatisch Koalitionspartner der Union

Die Union ist ohnehin skeptisch, ob sie auf lange Sicht weiter auf die Liberalen setzen soll. Selbst wenn Lindner sein zentrales Ziel erreicht, die FDP 2017 wieder in den Bundestag zu führen, erscheint noch nicht ausgemacht, welche Koalitionsstrategie die FDP in Zukunft verfolgt. So wie die Union sich an die Grünen als Machtoption anzunähern versucht, könnte die FDP auf Landes- oder Bundesebene an vergangene sozialliberale Bündnisse anzuknüpfen versucht sein.

Nach Einschätzung von Kubicki bleibt für einen erfolgreichen Neustart jedoch nicht Zeit bis 2017. "Wir müssen möglichst jede Wahl gewinnen, damit nicht der Eindruck entsteht, die FDP habe keine Zukunft", sagte Kubicki unserer Redaktion. Er verwies auf die elf Kommunal-, drei Landtags- und die Europawahlen im nächsten Jahr. "Jede Wahl ist jetzt eine Nagelprobe für die FDP", betonte Kubicki. Dabei gelte, dass jeder Liberale nun für seine Region selbst verantwortlich sei. "Auf ,die in Berlin‘ kann man nicht mehr zeigen, denn die gibt es nicht mehr", erklärte Kubicki.

Nur an diesem Wochenende funktioniert das noch mal: "Die in Berlin", das sind bei diesem Berliner Parteitag Delegierte aus allen Regionen, in denen es noch nennenswerte Zahlen an Liberalen gibt. Nicht nur wegen der zu erwartenden Streitkultur will Lindner das Aufbruchssignal nicht auf den Parteitag konzentrieren. Er plant bereits mit dem traditionellen Dreikönigstreffen Anfang Januar in Stuttgart. Und im Folgenden soll es dann noch zwei weitere Parteitage geben: den Europaparteitag im Januar und den "ordentlichen" im Mai. Spätestens dann dürfte die Öffentlichkeit wissen, ob mit den Liberalen noch einmal zu rechnen ist.

(may)
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