Caracas/Düsseldorf Venezuela im Ausnahmezustand

Caracas/Düsseldorf · Leere Lebensmittelregale, ein kollabiertes Gesundheitssystem, kein Strom. Dazu tobt in dem südamerikanischen Land ein erbitterter Machtkampf zwischen Präsident und Opposition.

Caracas/Düsseldorf: Venezuela im Ausnahmezustand
Foto: Ferl

Vor ein paar Tagen sammelte die venezolanische Opposition rund zwei Millionen Unterschriften für ein Referendum, in dem über die Ablösung von Venezuelas Präsident Nicolás Maduro abgestimmt werden soll. In Rekordzeit hatten die Helfer des Oppositionsbündnisses "Tisch der Einheit" (MUD) die Unterschriften gesammelt, nur ein Bruchteil wäre notwendig gewesen, damit das Volk wie in der Verfassung vorgesehen, darüber abstimmen kann, ob Maduro im Amt bleiben kann oder gehen muss. Nun hat mit Vize-Präsident Aristóbulo Istúriz ein weiterer ranghoher Sozialist aus dem Regierungslager angekündigt, das Votum der Venezolaner ignorieren zu wollen. Die Unterschriften seien nicht auf korrektem Wege zusammengekommen. "Es wird kein Referendum geben", kündigte Isturiz an. Damit droht in Venezuela erneut eine Eskalation der Lage, denn die überwiegende Mehrheit der Venezolaner sehnt Umfragen zufolge ein Ende der sozialistischen Regierungszeit herbei.

Die Bilanz der ersten drei Jahre der Präsidentschaft Maduros ist verheerend: Auf dem Höhepunkt der Studentenproteste 2014 ließ der Wunschnachfolger des 2013 an Krebs gestorbenen Revolutionsführers Hugo Chávez Polizei und Sicherheitskräfte auf Demonstranten schießen. Maduros Gefolgsleute riefen via Twitter zur Jagd auf die Opposition auf. Rund 50 Menschen starben. Seit diesen blutigen Tagen hat sich die Mehrheit des Volkes von der sozialistischen Regierung abgewendet. Politische Konsequenzen für die Machthaber hatte das Blutvergießen nicht. Stattdessen wanderten wichtige Oppositionspolitiker ins Gefängnis oder wurden mit Hilfe einer regierungsnahen Justiz aus dem Parlament geworfen.

Maduros Staatshaushalt hängt vor allem von den Öleinnahmen ab. Doch seit der Ölpreis abgestürzt ist, fehlen die lebenswichtigen Einnahmen. In den goldenen Jahren des Ölpreishochs versäumte es Vorgänger Chávez, die vielen Milliarden in die marode Industrie, die Energieversorgung und die Infrastruktur zu investieren, um Venezuela unabhängiger vom Ölpreis zu machen.

Heute liegt das Land wirtschaftlich am Boden. Nicht einmal mehr Toilettenpapier ist ausreichend vorhanden, die Wasserversorgung ist zusammengebrochen. Beamte sollten angesichts des Strommangels nur noch zwei Tage in der Woche arbeiten. Das Elend wird vor allem dort deutlich, wo Menschen eigentlich auf Genesung hoffen: in den Krankenhäusern. Ärzte berichten von stundenlangen Nachtschichten ohne Strom, in denen sie Neugeborenen per Beatmungsbeutel Luft in die Lungen pressen, um sie am Leben zu erhalten. Chirurgen waschen sich vor Operationen lediglich mit Mineralwasser die Hände. Seife oder gar Desinfektionsmittel sind nicht zu finden. Einige Krankenhäuser haben nicht mal die Möglichkeit, Röntgen-Aufnahmen auszudrucken. Die Patienten müssen die Bilder mit ihren Smartphones abfotografieren und dem jeweiligen Arzt zeigen. Auch wichtige Krebsmedikamente sind nicht mehr verfügbar. Die Ärzte erstellen ihren Patienten eine Liste der nötigen Medikamente und schicken sie auf den Schwarzmarkt - nur dort gibt es noch Vorräte.

Hochschulabsolventen verlassen in Scharen das Land, sie sehen in der sozialistischen Planwirtschaft nach alter Prägung keine Perspektive. Nach der brutalen Niederschlagung der Studentenproteste haben sie zudem Angst um ihr Leben. Maduros Sozialismus ist kubanischer Prägung, und in der gibt es keine Opposition. Seine Macht stützt sich auch auf regierungsnahe paramilitärische Banden. Diese "Colectivos", von der Regierung bewaffnet, um die Revolution im Falle einer Invasion zu verteidigen, kontrollieren ganze Stadtviertel und sind längst in die organisierte Kriminalität abgeglitten. Deswegen ist Venezuela inzwischen das gefährlichste Land Südamerikas.

Am Dienstag hatte das von der bürgerlichen Opposition dominierte Parlament eine Verlängerung des zuvor von Präsident Maduro verhängten Ausnahmezustands abgelehnt. Maduro wollte den wirtschaftlichen Notstand vorerst um 60 Tage verlängern. Das Dekret sieht zudem eine Erweiterung der präsidialen Vollmachten und den Einsatz von Soldaten und Bürgerwehren zur Sicherung der öffentlichen Ordnung vor. Das klingt nach Diktatur. Oppositionsführer Henrique Capriles sprach von einer "Bombe, die jeden Moment explodieren kann".

(RP)
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