Ankara Türkische Behörden ignorierten Terrorwarnung

Ankara · Vor dem verheerenden Anschlag in Ankara im vergangenen Jahr gab es konkrete Hinweise.

Es war der bisher schwerste Terroranschlag in der Geschichte der Türkei: Am 10. Oktober 2015 sprengten sich zwei Selbstmordattentäter inmitten einer Friedenskundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz von Ankara in die Luft. Die blutige Bilanz: 102 Tote, über 200 Verletzte. Bei den Attentätern soll es sich um türkische Mitglieder der IS-Terrormiliz gehandelt haben. Jetzt verdichten sich Vorwürfe, wonach die türkischen Sicherheitsbehörden Hinweise auf das Attentat hatten, diese aber ignorierten.

Die oppositionsnahe Zeitung "Cumhuriyet" berichtet, Geheimdienst und Polizei hätten von den Anschlagsplänen gewusst. Einer der beiden Attentäter sei sogar namentlich bekannt gewesen. Die Hinweise seien aber ignoriert worden, schreibt "Cumhuriyet" unter Berufung auf einen internen Untersuchungsbericht. Der Gouverneur von Ankara, der direkt dem türkischen Innenministerium unterstellt ist, habe es abgelehnt, Ermittlungen wegen der Versäumnisse einzuleiten.

Bereits wenige Tage nach dem Anschlag gab es Hinweise auf mögliche Unterlassungen. Der Polizeichef von Ankara und zwei weitere ranghohe Polizeibeamte wurden damals suspendiert - um eine "umfassende Untersuchung" des Anschlags zu ermöglichen, wie es offiziell hieß. Die Anwaltskammer von Ankara stellte zudem Strafanzeige gegen Innenminister Selami Altinok wegen mutmaßlicher Dienstvergehen im Zusammenhang mit dem Anschlag. Das Verfahren brachte aber bislang keine Ergebnisse.

Einer der Selbstmordattentäter von Ankara wurde als Yunus Emre Alagöz identifiziert. Es handelte sich um einen Bruder von Abdurrahman Alagöz, der sich drei Monate zuvor bei einem Kurdenfestival in der südosttürkischen Stadt Suruç in die Luft gesprengt und 34 Menschen mit in den Tod gerissen hatte.

Die beiden jungen Männer sollen sich 2014 dem IS angeschlossen haben und nach Syrien gereist sein. Ihre Eltern hatten die Sicherheitsbehörden darüber informiert. Der andere Attentäter war Ömer Deniz Dündar. Wie Alagöz stand auch er auf einer Fahndungsliste. Ein ranghoher ehemaliger Offizier des türkischen Geheimdienstes sprach bereits Ende Oktober 2015 von "ernsten Versäumnissen" der Regierung. Man hätte die Verdächtigen ständig beobachten müssen. Dies sei jedoch nicht geschehen.

Ministerpräsident Ahmet Davutoglu erklärte seinerzeit, man habe zwar eine Liste potenzieller Selbstmordattentäter, habe die Verdächtigen aber nicht festnehmen können. Es sei in einem Rechtsstaat nicht möglich, Menschen aufgrund eines bloßen Verdachts in Haft zu nehmen. Diese Äußerung löste heftige Kritik aus, zumal die Justiz bei der Festnahme von Regierungskritikern offenbar sehr viel strengere Maßstäbe anlegt. Das zeigte sich gestern erneut: Im südostanatolischen Sanliurfa nahm die Polizei sechs Verdächtige wegen "Präsidentenbeleidigung" fest.

(RP)
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