Athen Türkei droht den USA mit Bruch

Athen · Ankara stellt Partnerschaft zur Disposition, falls Washington den angeblichen Putschisten Gülen nicht ausliefert.

Im Streit um die Auslieferung des in den Vereinigten Staaten lebenden Exil-Predigers Fethullah Gülen verschärft die türkische Regierung den Ton gegenüber Washington: Die USA müssten sich zwischen Gülen und der Partnerschaft mit der Türkei entscheiden, heißt es in Ankara. Präsident Recep Tayyip Erdogan macht seinen früheren Verbündeten und jetzigen Widersacher Gülen für den Putschversuch vom 15. Juli dieses Jahres verantwortlich. Die US-Regierung hält sich einstweilen bedeckt. Vizepräsident Joe Biden will Ende August nach Ankara reisen, um die Wogen zu glätten.

Gülen müsse in der Türkei vor Gericht gestellt werden. In dieser Frage könne es "keinen Kompromiss" geben, sagte Ministerpräsident Binali Yildirim am Wochenende bei einer Pressekonferenz an seinem Amtssitz in der türkischen Hauptstadt Ankara. "Es ist kristallklar, dass FETÖ hinter dem gescheiterten Coup steht", so Yildirim. FETÖ (Fethullahci Terör Örgütü) ist die türkische Abkürzung für die "Fethullah-Terrororganisation", wie die Bewegung des Predigers in der Türkei bezeichnet wird.

Ministerpräsident Binali Yildirim sagte der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge, nur mit einer Überstellung Gülens könne der wachsende Anti-Amerikanismus in der Türkei noch gestoppt werden. US-Experten auf Arbeitsebene würden am 22. August in der Türkei über die juristischen Fragen sprechen. Yildirim sagte, er gehe von einem positiven Bescheid aus.

In einem Schreiben an die US-Behörden werden dem Fernsehsender CNN Türk zufolge zehn verschiedene Straftatbestände gegen Gülen aufgezählt. Gülen hingegen bestreitet eine Verwicklung in den Putsch. Der 75-jährige Gülen lebt seit 1999 in den USA und steuert von seinem Landsitz bei Saylorsburg in Pennsylvania aus ein weltumspannendes Netz von Bildungseinrichtungen, Stiftungen, Finanzinstitutionen und Medien.

Das türkische Justizministerium habe jetzt offiziell in den USA die Auslieferung Gülens beantragt, berichtete CNN Türk. Ihm wird neben dem Umsturzversuch auch versuchter Mord an Staatspräsident Erdogan zur Last gelegt. Die türkische Staatsanwaltschaft fordert zudem von den USA die Verhaftung Gülens wegen Fluchtgefahr. Washington hält Ankara aber bisher hin. Dort verlangt man stichhaltige Beweise für Gülens Beteiligung an dem Putschversuch und gibt zu verstehen, dass ein Auslieferungsverfahren Monate oder sogar Jahre dauern könne.

Das Tauziehen um Gülen wird zu einer immer größeren Belastung für die Beziehungen zwischen den beiden Nato-Verbündeten. Wenn die USA das Auslieferungsbegehren ablehnten, ignorierten sie damit "die gemeinsamen Gefühle von 79 Millionen Türken", sagte Yildirim. Präsident Erdogan hatte bereits vergangene Woche gewarnt, früher oder später müssten die USA eine Entscheidung treffen: "entweder die Türkei oder FETÖ." Diese Drohung bekommt besonderes Gewicht vor dem Hintergrund der Wiederannäherung der Türkei an Russland. Erdogan und der russische Präsident Wladimir Putin vereinbarten vergangene Woche bei einem Treffen in Sankt Petersburg eine enge Zusammenarbeit.

In Washington ist man besorgt über die Spannungen mit dem Nato-Partner Türkei, der als wichtiger Verbündeter im Kampf gegen die IS-Terrormiliz gilt. Die U.S. Air Force fliegt vom südtürkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik Angriffe auf den IS in Syrien und dem Irak.

Nachdem bereits Außenminister John Kerry einen Besuch in Ankara angekündigt hatte, will nun Vizepräsident Joe Biden zur Schadensbegrenzung in die Türkei reisen. Er wird in Ankara am 24. August erwartet. Unterdessen gehen die "Säuberungen" in der Türkei weiter. Ministerpräsident Yildirim zufolge wurden seit dem Putschversuch vor vier Wochen bereits fast 82.000 Menschen entlassen oder vorläufig suspendiert, darunter Soldaten, Polizisten, Lehrer, Universitätsprofessoren, Diplomaten, Richter und Staatsanwälte.

Ihnen werden Verbindungen zu Gülen vorgeworfen. Yildirim räumte ein, es gebe "Schwierigkeiten", die wahren Gülen-Anhänger zu identifizieren. Man müsse unterscheiden zwischen jenen, "die sich freiwillig und mit Absicht" der Organisation angeschlossen hätten, und jenen, "die zufällige Verbindungen" hatten.

Die Massenentlassungen und Verhaftungen führen zu Personalengpässen im türkischen Staatsdienst. So will das Erziehungsministerium jetzt im Schnellverfahren 20.000 Lehrer einstellen, um rechtzeitig vor Beginn des neuen Schuljahres gefeuerte Pädagogen zu ersetzen. Auch die türkische Luftwaffe sucht jetzt dringend Ersatz für 265 Kampfpiloten, die nach dem Putschversuch entlassen oder verhaftet wurden.

(RP)
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