Nach umstrittenem Referendum Lambsdorff kritisiert "radikale Abkehr" der Grünen von Türkei

Berlin/Istanbul · Der Ausnahmezustand in der Türkei bleibt nach dem Referendum in Kraft. Die Opposition protestiert und beantragt formell die Annullierung der Abstimmung. In Deutschland verschärft sich die Debatte über die Integration.

 Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff (Archivbild).

Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff (Archivbild).

Foto: dpa

Nach seinem umstrittenen Sieg beim Referendum in der Türkei hat Staatschef Recep Tayyip Erdogan den Ausnahmezustand erneut verlängern lassen. Das Parlament in Ankara, in dem Erdogans AKP über eine Mehrheit verfügt, stimmte der von der Regierung beschlossenen Verlängerung um drei Monate zu. Damit kann Erdogan mindestens bis Mitte Juli weiter per Dekret regieren. Die Versammlungsrechte bleiben eingeschränkt.

Für Dienstagabend riefen Regierungsgegner zu neuen Protesten gegen Erdogan auf. In Istanbul und anderen Städten hatten schon am Montagabend einige Tausend Menschen demonstriert. Anwohner brachten ihren Protest durch Schlagen auf Kochtöpfe zum Ausdruck. Nach Medienberichten wurden in Izmir, Antalya und Eskisehir insgesamt 43 Demonstranten festgenommen.

Die größte Oppositionspartei CHP beantragte bei der Wahlkommission offiziell die Annullierung des Referendums. CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu zweifelte erneut die Legitimität des Referendums an und übte scharfe Kritik an der Wahlkommission, der er Nähe zu Erdogan unterstellte. Auch die internationalen Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates kritisierten, unter dem Ausnahmezustand seien Grundfreiheiten eingeschränkt gewesen, "die für einen demokratischen Prozess wesentlich sind". Die EU-Kommission forderte die türkische Regierung zur Überprüfung der Vorwürfe von Unregelmäßigkeiten auf. Man rufe die Türkei auf, transparente Untersuchungen einzuleiten, sagte Kommissionssprecher Margaritis Schinas.

Erdogan bekräftigte erneut seine Bereitschaft, die Todesstrafe wieder einzuführen. Sollte die dafür nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament zustandekommen, werde er das Gesetz unterzeichnen. "Aber wenn nicht, dann machen wir auch dafür ein Referendum."

Unterdessen ist in Deutschland eine Debatte über die hier lebenden Türken entbrannt. Grünen-Chef Cem Özdemir führte die starke Unterstützung vieler Deutschtürken für Erdogan auf Versäumnisse in der Integrationspolitik zurück und forderte mehr Anstrengungen. Ein Teil der Deutschtürken müsse sich aber auch kritische Fragen gefallen lassen. Sie genössen in Deutschland die Vorteile der Demokratie, richteten in der Türkei aber eine Diktatur ein.

Der Vize-Präsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), übte indes Kritik an den Grünen. "Die radikale Abkehr der Grünen von der Türkei halte ich für falsch", sagte er unserer Redaktion. "Ihr Parteichef Özdemir verhält sich wie ein enttäuschter Liebhaber - erst naive Umarmung, dann frustrierte Ablehnung. So kann man keine Außenpolitik machen." Lambsdorff betonte, die Türkei bleibe "für Deutschland ein schwieriger Partner, für Europa ein wichtiger Nachbar und für die Nato unser Flugzeugträger im Nahen Osten".

Die Chefin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Jutta Cordt, rief in der Debatte zur Mäßigung auf. "Gerade jetzt sollten Deutsche und türkischstämmige Bürgerinnen und Bürger nicht in Polemik abdriften oder pauschale Urteile übereinander fällen", sagte Cordt unserer Redaktion. Sie verwies auch darauf, dass das BAMF Integration unterstütze, unter anderem durch Strukturförderungen von Migrantendachorganisationen, um diese als Ansprechpartner zu festigen. "Wir unterstützen aber auch Ehrenamtliche, die im Integrationsprozess wichtige Aufgaben wahrnehmen - zum Beispiel durch die bundesweiten "Houses for Ressources".

(qua)
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