Persönlich Tsai Ing-wen . . . ist Taiwans Angela Merkel

Chinesen schwärmten einst von Mao als ihrem kulturrevolutionären Steuermann. Nun hat auch Taiwan eine Steuerfrau bekommen, die allerdings in eine demokratische Richtung steuert. Die taiwanesische Oppositionspolitikerin Tsai Ing-wen hat einen erstaunlichen Wahlsieg eingefahren: Sie gewann mit mehr als 56 Prozent eine überwältigende Zustimmung für sich und ist somit die erste Präsidentin Taiwans. Auch ihre Demokratische Fortschrittspartei errang erstmals eine absolute Mehrheit der Sitze im Parlament. Tsais Vorbild ist Angela Merkel, sie bewundert den Pragmatismus und die Entschlossenheit der Kanzlerin. Schon in ihrer Dankesrede bot Tsai Peking an, einen Dialog auf Augenhöhe zu führen.

Die als moderat geltende Juristin bekannte erneut, am "Status quo des Friedens und der Stabilität" nicht rütteln zu wollen. Aber die 59-Jährige forderte Chinas Führung zugleich selbstbewusst auf, Taiwans Souveränität und Unabhängigkeit zu akzeptieren. Peking sieht Taiwan als eine nach dem 1949 gewonnenen Bürgerkrieg abtrünnig gewordene Provinz an. Es hat Taiwans Regierung früher schon mit gewaltsamer Wiedervereinigung gedroht, falls sie versuche, die Inselrepublik zum unabhängigen Staat auszurufen. Tsai, die in den USA studiert und in Großbritannien promoviert hat, weiß das. Sie will die Verfassung nicht ändern und äußert sich bewusst nicht zum "Ein China-Konsens". Nach der Vereinbarung von 1992, die von Tsais Partei abgelehnt wird, akzeptieren die Volksrepublik und Taiwan jeweils, Teile eines China zu sein.

Peking warnte bereits: Es sei "felsenfest entschlossen, die nationale Souveränität und territoriale Integrität zu schützen". Die neue "Führerin Taiwans" müsse den Konsens anerkennen. Tsai muss nun den Spagat üben, radikalen Forderungen ihrer Partei zu widerstehen und dennoch Peking auf Distanz zu halten.

(RP)
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