San Diego/Tijuana Trumps Mauer

San Diego/Tijuana · Donald Trump hat die Prototypen der Grenzmauer zwischen den USA und Mexiko präsentiert. In Mexiko haben sich die Menschen an das Leben im Niemandsland gewöhnt.

Der Weg zur Mauer führt an himmelblauen Ladenfassaden, an Wechselstuben und Imbissbuden vorbei. Es riecht nach würzigen Tacos. Damit Kunden aus Kalifornien sie nicht verfehlen können, blinken die Reklameschilder von Apotheken und Zahnarztpraxen rot. Auf einer Schnellstraße quer durch ein Armenviertel geht es weiter, bis der glatte Asphalt zum staubigen Holperweg wird und Rancho Escondido am Rande der Grenzstadt Tijuana erreicht ist.

Der Ort, an dem Mexikaner einen ersten Blick auf eine Zukunft hinter Beton erhaschen können. Zur Rechten schiefe, notdürftig gezimmerte Hütten mit Wellblechdächern, zur Linken ein rostiger Zaun. Man muss sich auf einen Erdhaufen stellen, um sie zu sehen: Donald Trumps Mauer.

Vor wenigen Tagen hat US-Präsident Donald Trump zum ersten Mal Prototypen von Teilen seiner geplanten Grenzmauer besichtigt - auf amerikanischem Boden. Trump will in den nächsten zehn Jahren 14,7 Milliarden Euro ausgeben, um auf einer Länge von 508 Kilometern neue Barrieren zu errichten und auf 655 Kilometern bereits existierende durch höhere zu ersetzen.

Die Grenze zwischen Mexiko und den USA ist 3144 Kilometer lang, sie erstreckt sich von Brownsville am Golf von Mexiko bis nach San Diego am Pazifik. Zu etwa einem Drittel ist sie durch Zäune gesichert, bei San Diego seit ein paar Jahren durch einen doppelten: den alten, niedrigen, eher symbolischen, konstruiert aus den Landeplatten des Vietnamkriegs, und einen neuen, deutlich höheren mit Stacheldraht.

Bislang hat der Kongress, der allein über Finanzfragen entscheidet, dem Präsidenten die Zustimmung zur geplanten Grenzmauer zwischen den USA und Mexiko verweigert. Aber Trump hat schon vorgesorgt. Wie Messe-Exponate stehen sie da. "Los prototipos", wie die Mexikaner sagen. Die Prototypen der Abschottung.

Acht Mauerteile, jedes neun Meter hoch, eines oben mit Metallstacheln versehen, einige ockerbraun wie die kahlen Hügel der Gegend, eines in einem kräftigen Blau angestrichen. Zwei haben im unteren Teil Stäbe, zwischen denen man hindurch schauen kann. Alle müssen mindestens 180 Zentimeter tief in die Erde reichen, damit es nicht so leicht ist, sie zu untertunneln.´Es riecht nach Gas, weil irgendwo eine Leitung undicht ist. Hunde streunen, vor verrosteten Metallmatten türmt sich der Müll. Zwischen Tijuana und San Diego gibt es viele Grenzerfahrungen. Geschichten von Menschen, die mit, an und zwischen der Grenze leben.

Juan Lozano treibt die Neugier vor die Brettertür des Schuppens, in dem er lebt. Sein Pulli macht Werbung für die Biermarke Corona. Lozanos Englisch ist das eines Amerikaners, geprägt vom Slang der Megacity Los Angeles. In L.A., erzählt er, habe er zwei Filialen einer Imbisskette geleitet, dann habe es Ärger mit einem Angestellten gegeben. Ein Streit muss eskaliert sein, so viel erschließt sich aus Lozanos Redeschwall. Dann wurde der Mann, einst illegal über die Grenze nach Kalifornien eingewandert, nach Mexiko abgeschoben. Ohne seine Familie, fast alle näheren Verwandten leben in den USA, führt er das traurige Leben eines Einsiedlers - vergessen im Niemandsland im Schatten des Grenzzauns.

Lozano hat jede Phase des neuen Mauerbaus miterlebt. Erst kamen die Landvermesser, dann die Ingenieure. Es dauerte ein paar Wochen, bis die Prototypen so standen, wie man es sich im Weißen Haus vorgestellt hatte. Jemand warf Seile mit Haken über Mauerteile, um zu testen, ob sie sich tatsächlich nicht festhakten, wie es die Regierung in Washington verlangte. Künstler protestierten. Mit Laserstrahlen warfen sie Motive auf den Beton: die Freiheitsstatue, Leitern. Will sagen: Auch eine Mauer wird die Menschen nicht davon abhalten, sich frei zu bewegen. "Acht einsame Ritter" nennt Fotografin Maria Teresa Fernández die Prototypen aus Stahl und Beton. Fernández ist legal eingewandert, die Frau eines Chirurgen, den sie im kalifornischen San Diego mit Kusshand begrüßten. "Ob das heute noch so wäre? Ich weiß es nicht", grübelt sie. "Das Klima hat sich geändert, schon vor Trump, aber unter Donald Trump umso mehr."

Maria Teresa Fernández hat das alles dokumentiert, den Wandel von einer relativ durchlässigen Trennlinie zu einer hermetisch abgeriegelten. Eines ihrer Bilder zeigt grenzübergreifendes Yoga am Strand, ein anderes ein binationales Picknick. 1993, als sie zu fotografieren anfing, war es ein Kinderspiel, zwischen Tijuana und San Diego hin- und herzuwandern, auch ohne gültige Papiere.

John Fanestil läuft mit langen, schnellen Schritten am Strand entlang, zur Rechten der Ozean, zur Linken eine Dünenlandschaft. Immer sonntags marschiert der hochgewachsene Methodistenpfarrer zur Grenze, zu einer Art Begegnungsstätte am Zaun. Früher konnten sich Menschen dort zu beiden Seiten des "Parks der Freundschaft" versammeln, in einem vielleicht zwanzig Meter breiten, streng überwachten Abschnitt, um sich durch die Lücken zwischen den Gitterstäben die Hände zu reichen. Irgendwann monierten die Grenzpolizisten, dass so auch Rauschgift geschmuggelt werden könnte. Heute bedeckt engmaschiger Maschendraht die Lücken zwischen den Stäben, so dass sich allenfalls noch die Fingerkuppen berühren können. Am Zaun hält der Methodistenpfarrer Fanestil einen staatenübergreifenden Gottesdienst ab. Auf der kalifornischen Seite hat er einen Teppich ausgebreitet, auf den er ein Weinglas stellt und daneben Brot und eine Bibel legt. Die Mauer? "Reine Symbolpolitik", sagt der Pfarrer. Eben das, was Trump am besten könne.

Auch Sayra Martínez ist zum Freundschaftspark gewandert. Mit 15 ging sie in die USA. Sicher war sie auf keiner Seite der Grenze. Die 31-Jährige wurde von ihrem Mann verprügelt, suchte Zuflucht in einem Frauenhaus. Auch dort wurde sie von der Familie ihres Ex-Mannes bedroht. Martínez beschloss, nach Mexiko zurückzukehren. Ihr Ex-Mann fand sie erneut. Also habe sie sich im Kofferraum eines Autos zurück nach San Diego schmuggeln lassen. In Fällen häuslicher Gewalt auf kalifornischem Boden habe sie ein Bleiberecht, erfuhr sie von einem Anwalt. Noch fehlen ihr die offiziellen Dokumente, das sei aber nur eine Frage der Zeit, glaubt sie.

Nur ihren Sohn, inzwischen 14 Jahre alt, bekommt sie kaum noch zu Gesicht. Er lebt bei ihren Eltern in Chiapas, im Süden Mexikos. Sobald sie genug Geld gespart hat, will sie ihm und ihren Eltern Flugtickets nach Tijuana kaufen, so dass sie sich wenigstens am Zaun sehen können.

(RP)
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