Rio Topfschlagen gegen korrupte Politiker

Rio · In Brasilien kochen nach der spektakulären Rückkehr von Ex-Präsident Lula da Silva ins Zentrum der Macht die Emotionen hoch. Seine Gegner vermuten ein abgekartetes Spiel. Die Menschen gehen auf die Straße.

de Janeiro In Brasilien kündigt sich eine veritable Staatskrise an: Tausende Menschen sind spontan auf die Straße gegangen, um gegen Staatschefin Dilma Rousseff zu protestieren. Sie hatte ihren Vorgänger, den früheren Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, zum Kabinettschef ernannt. Zusätzlich brachte ein abgehörtes Telefonat zwischen Rousseff und dem unter Korruptionsverdacht stehenden Lula das Volk in Rage. In wohlhabenden Vierteln in São Paulo, Rio de Janeiro und in der Hauptstadt Brasília war Topf-Schlagen als Zeichen des Protests zu hören, wie die Zeitung "O Globo" in ihrer Online-Ausgabe berichtete.

In dem Gespräch sichert Rousseff Lula zu, ihn im Rahmen seiner Rückkehr in die Politik mit Sondervollmachten auszustatten. Lula, der sich am Telefon von Rousseff mit den Worten "Tschüss, Liebste" verabschiedete, trat gestern sein neues Amt an. Rousseff-Kritiker werfen der Präsidentin vor, mit der Aufnahme Lulas in den Ministerrang den nach wie vor populären Ex-Präsidenten vor strafrechtlicher Verfolgung schützen zu wollen.

Dem widersprach Rousseff: Sie erhoffe sich von der Kabinettsumbildung und der Rückkehr Lulas, der erst vor wenigen Tagen zum Verhör gebeten wurde, eine Stärkung der Regierungsarbeit. Die Ermittlungen könnten fortgesetzt werden, versicherte Rousseff. Warum diese allerdings nicht abgewartet werden, bleibt ihr Geheimnis. Damit erreicht der Korruptionsskandal in Brasilien einen neuen Höhepunkt: Die Ermittlungsbehörden hatten in den vergangenen Monaten schier unglaubliche Geldflüsse zwischen dem staatlichen Ölkonzern Petrobras und der regierenden Arbeiterpartei (PT) aufgedeckt. Das Netzwerk von korrupten Politikern, Unternehmen und Parteifunktionären ist allerdings nicht nur auf die Regierungspartei beschränkt, auch prominente Vertreter der Opposition sind ins Visier der Justiz gerückt. Die Veröffentlichung des Telefongesprächs seitens des Bundesrichters Sergio Moro im Stile eines Whistleblowers hat bei den Anhängern der PT scharfe Kritik ausgelöst. Die Interpretation des Gesprächs sei einseitig, beklagen sie. Auch die Arbeiterpartei mobilisierte gestern ihre Anhänger, um zumindest medial ein Gegengewicht zu den bislang vorherrschenden TV-Bildern der wütenden Opposition zu schaffen.

Rousseff steht noch unter dem Eindruck der Massenproteste des vergangenen Wochenendes, als mehr als drei Millionen Menschen auf die Straßen gingen, um gegen die Korruption und die Vetternwirtschaft in der PT zu demonstrieren: "Dilma raus und Lula ins Gefängnis", riefen die Menschen. Mit Lulas Rückkehr provoziert Rousseff nun die Opposition, deren Anhänger wütende Kommentare in den sozialen Netzwerken posteten und erbitterten Widerstand auf der Straße ankündigen. Rousseff riskiert mit dem Schachzug wochenlange Proteste, deren Eigendynamik nur schwer vorherzusagen ist. In den sozialen Netzwerken macht vor allem ein Zitat von Lula die Runde, das aus dem Jahr 1998 stammen soll: "Ist ein Dieb arm, kommt er ins Gefängnis. Ist er reich, wird er ein Minister." Die Worte "Ordnung und Fortschritt" auf der Nationalflagge werden kurzerhand durch "Korruption und Unverfrorenheit" ersetzt.

Demonstrativ zeigte sich die Spitze der Arbeiterpartei gestern geschlossen. Während der Unterzeichnung der Ernennungsurkunde, versuchten Demonstranten das Regierungsgebäude zu erstürmen, Zwischenrufe unterbrachen die Rede der Präsidentin. Rousseff und Lula aber besiegelten ihr Abkommen mit einer Umarmung.

(RP)
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