Thomas Oppermann "Zeltstädte für Flüchtlinge sind unwürdig"

Berlin · Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion spricht im Interview mit unserer Redaktion über neue Hilfen für Griechenland, den nächsten SPD-Kanzlerkandidaten und die Flüchtlingskrise.

Thomas Oppermann: "Zeltstädte für Flüchtlinge sind unwürdig"
Foto: dpa, rje lre

Herr Oppermann, die Griechen bekommen ein drittes Hilfspaket. Was lässt Sie hoffen, dass es das wert ist?

Oppemann Das neue Hilfsprogramm hat eine ganz andere Qualität als die der Vorgänger. Jetzt gibt es Geld nur Zug um Zug gegen konkrete Reformschritte.

Es gibt eine CD mit Tausenden Namen reicher Griechen, die keinen Cent Steuern zahlen. Warum wird die von der griechischen Regierung nicht ausgewertet?

Oppermann In der Tat könnte der neue griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos von seinem Amtskollegen in NRW, Norbert Walter-Borjans, einiges lernen. Der hat aus ein paar Kunststoffscheiben Millionen Euro gemacht. Ich bin mir sicher, dass Norbert Walter-Borjans bereit wäre, den Griechen Tipps zu geben.

Das allein wird nicht reichen ...

Oppermann Ich setze große Hoffnung in die Jugend Griechenlands, die das verrottete System satt hat. Wenn in einem Unternehmen, einer Partei oder einem Staat 30 Prozent grundlegende Veränderungen wollen, dann ist eine kritische Masse erreicht, die viel bewegen kann.

Schönes Stichwort. Wenn also 30 Prozent der SPD-Mitglieder der Meinung sind, Sigmar Gabriel sei nicht der richtige Kanzlerkandidat, dann kippt das?

Oppemann Netter Versuch, in eine Diskussion einzusteigen, die nicht auf der Tagesordnung steht.

Es war Schleswig-Holsteins SPD-Ministerpräsident Torsten Albig, der gesagt hat, Frau Merkel sei so gut, da könne die SPD auf einen eigenen Kanzlerkandidaten verzichten.

Oppermann Ich bin sicher, dass Torsten Albig seine Äußerungen inzwischen bedauert.

Aber er hat doch im Grunde Recht.

Oppermann Nein. Niemand ist unangreifbar. Auch Frau Merkel nicht. Selbstverständlich wird die SPD 2017 mit einem eigenen Kanzlerkandidaten antreten. Die Schwelle zum Kanzleramt liegt bei 30 Prozent plus X. Das ist doch zu schaffen!

Kann Gabriel Kanzler?

Oppermann Natürlich!

Aber gibt es nicht einen Unterschied zwischen Kanzler können und zum Kanzler gewählt werden?

Oppermann Die drei Bundeskanzler der SPD sind gewählt worden und konnten es sehr gut. Umgekehrt ist es aber auch so: Nicht alle Kanzler, die gewählt wurden, konnten es.

Was würde die SPD anders machen, wenn sie den Kanzler stellen könnte?

Oppermann Wir müssen zum Beispiel noch viel stärker in Bildung investieren. In ein lückenloses System von der Kita über die duale Weiterbildung bis zur Hochschule. NRW geht da ja schon mit gutem Beispiel voran.

Beitragsfrei?

Oppermann Beitragsfrei in den Stufen, in denen das finanziell möglich ist. Wir haben im Bundeshaushalt momentan Überschüsse.

Davon merken die Länder aber nichts, die unter der finanziellen Last zur Unterbringung Hunderttausender Flüchtlinge stöhnen.

Oppermann Der Bund hat für dieses Jahr eine Nothilfe von einer Milliarde bewilligt. Aber das wird nicht reichen. Wir wollen, dass der Bund dauerhaft in die Flüchtlingsfinanzierung einsteigt, weil das keine kommunale, sondern eine nationale Aufgabe ist. Da müssen wir uns eher auf mindestens zwei Milliarden einstellen.

Reicht das?

Oppermann Bei der Flüchtlingspolitik stehen wir eindeutig vor der größten Herausforderung seit Jahren. Deshalb brauchen wir eine nationale Kraftanstrengung. Die Integration von allein einer Dreiviertelmillion Menschen in diesem Jahr kann nur gelingen, wenn Bund, Länder, Kommunen und die Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen. Wir gewinnen weltweit enorme Anerkennung und Sympathie, weil wir die Flüchtlinge aufnehmen und anständig behandeln. Die große Hilfsbereitschaft von vielen privaten Initiativen und Einzelpersonen müssen wir unbedingt erhalten. Das kann aber nur gelingen, wenn die Leute das Gefühl behalten, die Politik hat die Lage im Griff.

Hat sie das?

Oppermann Wir sind ein starkes Land, und wir schaffen das! Trotzdem müssen wir unbedingt die Asylverfahren beschleunigen. Wenn 99 Prozent der Flüchtlinge aus Syrien anerkannt werden, und 99 Prozent der Flüchtlinge aus Albanien abgelehnt werden, dann muss es doch möglich sein, in beiden Fällen sehr schnell zu entscheiden! Wir haben 1000 zusätzliche Stellen geschaffen, die zügig besetzt werden müssen. Weitere 1000 werden folgen.

Aber Deutschland allein kann den Ansturm nicht bewältigen.

Oppermann Das ist richtig. Das Dublin-Abkommen, wonach der Staat, in den ein Asylbewerber zuerst eingereist ist, das Asylverfahren durchführen muss, ist kollabiert. Wir brauchen eine neue Flüchtlingsordnung in Europa. Es wäre eine Schande, wenn sich einige EU-Länder weiterhin davonstehlen.

Hierzulande entstehen immer mehr Zeltstädte für Flüchtlinge. Wie soll das im Winter werden?

Oppermann Zeltstädte sind unseres Landes nicht würdig. Wir benötigen vernünftigen Wohnraum und das sofort: Unterkünfte in Schnellbauweise, umgerüstete Kasernen. Es kann nicht sein, dass Flüchtlinge im Zelt leben, weil eine ehemalige Kaserne erst mit Trittschallschutz und dreifach verglasten Fenstern ausgestattet werden muss. Wir kommen um eine Entbürokratisierung nicht herum, wenn wir das Unterbringungsproblem rasch lösen wollen. Größere Bauvorhaben müssten wir EU-weit ausschreiben. Die Zeit haben wir nicht. Das muss ratzfatz gehen. Deshalb brauchen wir Dispens von der EU.

MARTIN BEWERUNGE FASSTE DAS GESPRÄCH ZUSAMMEN.

(RP)
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