Osnabrück Studie: Salafistische Jugendliche basteln sich eigenen Islam

Osnabrück · Radikalisierte muslimische Jugendliche wissen wenig über ihre Religion. Forscher haben Chats ausgewertet.

Jugendliche, die sich salafistisch radikalisieren, verfügen oftmals nur über ein geringes Verständnis des Islam. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universitäten Osnabrück und Bielefeld. Forscher haben Chat-Protokolle einer dschihadistischen Gruppe vor einem Anschlag ausgewertet. "Die Gruppenmitglieder verfügen offenkundig nur über rudimentäre oder gar keine Islamkenntnisse", sagte Islamwissenschaftler Michael Kiefer gestern in Osnabrück. Die jungen Salafisten hingen einer "Lego-Ideologie" an. "In Gänze betrachtet konstruiert die Gruppe nach dem Baustein-Prinzip einen Gruppenkult, der in all seinen zentralen Aussagen auf Willkür beruht und als krude und einfältig bezeichnet werden kann", sagte Kiefer.

Die Universitäten hatten im Juni 2005 das Forschungsnetzwerk Radikalisierung und Prävention gegründet. Die nun veröffentlichte Studie ist die erste empirische Untersuchung zur dschihadistischen Jugendszene in Deutschland. Das untersuchte Chat-Dokument einer Whatsapp-Gruppe enthält insgesamt 5757 Beiträge von zeitweilig bis zu zwölf Gruppenmitgliedern. Die Gespräche dort zeigen die Gruppendynamik unmittelbar vor einem geplanten Anschlag von jungen Menschen aus "normalen Verhältnissen". Die Daten vermittelten eine Vielzahl relevanter Informationen, so die Autoren der Studie.

Das Islambild in der Gruppe sei mit dem tatsächlichen Islam nicht vergleichbar, heißt es. Selbst die Gestaltung einfachster ritueller Alltagshandlungen, wie die Verrichtung des Pflichtgebets, sei Teilen der jungen Salafisten nicht bekannt. Mangels eigener religiöser Kenntnisse habe die Gruppe sich darauf beschränkt, anderen den "wahren Glauben" abzusprechen. Dies sei eine "Islamisierung der Radikalität, keine Radikalisierung des Islam", meint Kiefer.

Man müsse die Radikalisierung vor dem Hintergrund einer kritischen Jugendphase verstehen. Die im Chat kommunizierten logistischen und spirituellen Anschlagsvorbereitungen seien Schritte auf dem Weg zum Erwachsensein. Die Gruppe habe eine naive und romantisierende Vorstellung davon, gemeinsam auf Schlachtfeldern des Dschihad zu stehen und zu Männern zu werden.

(her)
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