Analyse Deutschland macht wieder Angst

Berlin · Nur die Androhung des Euro-Austritts auf Zeit brachte Athen zum Einlenken. Doch die erfolgreiche Strategie Merkels und Schäubles schürt den internationalen Unmut über ein zu mächtiges und zu hartherziges Deutschland.

 Kanzlerin Merkel und Minister Schäuble im Bundestag.

Kanzlerin Merkel und Minister Schäuble im Bundestag.

Foto: dpa, rje jai

Wenn der Bundespräsident der Kanzlerin und ihrem Finanzminister schützend zur Seite springt, gibt es ein Problem. Er könne nicht erkennen, dass es ein Defizit der Solidarität der Deutschen mit Griechenland gebe, sagte Joachim Gauck während seines Staatsbesuchs in Irland, das ebenfalls die finanzielle Hilfe der Euro-Partner in Anspruch genommen hatte, nun aber wieder auf eigenen Beinen steht. Er teile die europaweite und äußerst harte Kritik an Merkels und Schäubles angeblicher Erpressungspolitik gegenüber Griechenland nicht. "So ein großes Land muss sich auch Überlegungen gestatten für verschiedene Lösungswege", sagte Gauck mit Blick darauf, dass Schäuble am Wochenende im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen den vorübergehenden Euro-Austritt der Griechen erörtert hatte.

Nun, ganz so einfach ist die Sache nicht. Merkel und Schäuble haben mit ihrer gemeinsamen Strategie, auf dem Euro-Gipfel erstmals offen und glaubwürdig mit der Grexit-Option zu drohen, inhaltlich sicher mehr erreicht als anfänglich zu erwarten war - und ohne diese Strategie wäre der Gipfel wahrscheinlich gescheitert. Doch es scheint ein Pyrrhus-Sieg zu sein, der wie bei dem antiken Feldherrn mit erheblichen Blessuren verbunden ist.

Denn die Welt schäumt über die kühle und berechnende Machtpolitik, die Deutschland angeblich mit Brachialgewalt durchgesetzt hat. "Griechenland ist kein unabhängiger Staat mehr", schreibt die linksliberale italienische Zeitung "La Repubblica". Laut "New York Times" hat Merkel Europa "nicht vorangebracht". Das griechische Boulevard-Blatt "Ethnos" titelt mit dem Eingangstor von Auschwitz, das sich hinter Griechenland schließt. Und der amerikanische Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman wirft den Deutschen indirekt "Verrat an der europäischen Idee vor". Das europäische Projekt habe durch die Beschlüsse der Eurogruppe "einen vielleicht tödlichen Schlag erhalten".

Geschichtlich Versierte fühlen sich an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg erinnert, als Deutschland mit seiner aggressiven Machtpolitik und wirtschaftlichen Kraft das politische Gleichgewicht in Europa kippte. Auch jetzt könnten angesichts des gefühlt rabiaten Auftretens in Brüssel wieder alte Ängste gegenüber Deutschland aufbrechen.

Schon unmittelbar vor der Einheit warnten US-Zeitungen vor der neuen deutschen Dominanz, der die bisherigen gleichberechtigten Partner in Europa wie Großbritannien und Frankreich nicht mehr gewachsen seien. Hinzu kommt das Misstrauen im Süden des Kontinents über die kalte Machtmaschine in Berlin, die zur Durchsetzung eigener Interessen und der deutschen Vorstellungen von Stabilitätspolitik rücksichtslos eingesetzt werde.

Das mag aus deutscher Sicht verzerrt übertrieben sein. Doch das Auftreten Schäubles und Merkels hat diese Befürchtungen zumindest nicht entkräftet. Kalt behauptete die Kanzlerin, dass Griechenland mit dem neuen Spardiktat nun den Wachstumspfad wieder betreten könnte. Kein Wort verlor sie darüber, dass sich die Deutschen und ihre Partner bei der Umschuldung der eigentlich nicht rückzahlbaren Kredite kompromissbereiter zeigten als bisher. Auch über das Wachstumsprogramm der EU für das von der Rezession verwüstete Land wurde kaum gesprochen. Das hätte der gedemütigte Tsipras als Punkte für sich verbuchen können.

Grexikon – das griechische Schuldendrama von A bis Z
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Foto: Phil Ninh

Nicht einmal Bilder der Versöhnung gestanden die Berliner Tsipras zu. Eine gemeinsame Pressekonferenz der zentralen Personen wie Merkel, Schäuble, dem griechischen Premier Alexis Tsipras und EU-Präsident Donald Tusk fand nicht statt. Berlin hatte gesprochen, die Sache war erledigt.

Aus inhaltlichen Gründen allerdings war die Verhandlungsstrategie der Bundesregierung alternativlos, wie die Kanzlerin selbst sagen würde. Schäuble hatte den Euro-Finanzministern am Samstag ein mit Merkel und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) abgestimmtes Positionspapier übermittelt, in denen er die bis dahin vorliegenden Reform- und Sparvorschläge der griechischen Regierung als unzureichend einstufte. Entweder Athen bessere nach - oder ein "Plan B" müsse eintreten, so die Botschaft Schäubles. Für diesen Fall erwog der Minister in seinem Papier einen auf fünf Jahre befristeten Euro-Austritt. In dieser Zeit sollte Griechenland seine Schulden umstrukturieren können.

Schäuble hatte damit erstmals in den monatelangen Verhandlungen mit der widerspenstigen Syriza-Regierung eine realistische Drohkulisse aufgebaut, die Bewegung in die Verhandlungen brachte. Zugleich habe Deutschland ungewöhnlich viele Unterstützer hinter sich versammeln können, nur Frankreich, Italien und Zypern seien für ein weniger hartes Vorgehen gewesen, berichtete gestern der italienische Finanzminister Pier Carlo Padoan. Es habe in der Eurogruppe 15:4 gegen Griechenland gestanden, so Padoan. "Schäuble hat mit seinem Papier zum Grexit auf Zeit die Einigung der Regierungschefs überhaupt erst herbeigeführt", urteilt Unionsfraktionsvize Michael Fuchs.

Merkel ließ den Schäuble-Vorschlag, der eine noch nie da gewesenen Empörungswelle in den sozialen Netzwerken gegen den Finanzminister ausgelöst hatte, auffallend lange auf dem Verhandlungstisch liegen. Das war auch nötig, denn noch bis zum frühen Montagmorgen drohten die Verhandlungen an Tsipras' Widerstand gegen den neuen Treuhandfonds für Privatisierungserlöse zu scheitern. Um 6 Uhr früh stand das Scheitern der Verhandlungen unmittelbar bevor. Erst als Merkel Tsipras nochmals verdeutlichte, dass dann der Grexit unvermeidlich sei, wurde der Durchbruch im Acht-Augen-Gespräch erzielt - zwischen EU-Ratspräsident Donald Tusk, Frankreichs Präsident François Hollande, Tsipras und Merkel.

(mar)
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