Griechenland wählt Alles im Fluss

Chania · Bei der Parlamentswahl in Griechenland könnte die kleine Partei "To Potami" der Königsmacher werden. Aber die Stimmung im Land ist schlecht, die Lethargie groß.

Stavris Thedorakis: Alexis Tsipras wird einen Partner brauchen
Foto: afp, vel

Als Stavros Theodorakis aus dem Empfangsgebäude des Flughafens Chania tritt, wird er von einem Polizeioffizier erwartet. "Willkommen auf Kreta, Herr Vorsitzender", begrüßt ihn der Beamte und salutiert. "Wir sind ihre Begleitung", sagt er und zeigt auf mehrere Motorräder und zwei Streifenwagen.

Die Polizei auf Kreta hatte dieser Tage viel zu tun. Erst kam der zurückgetretene Premierminister Alexis Tsipras, um Wahlkampf zu machen, dann landete der konservative Oppositionsführer Vangelis Meimarakis. Beide bekamen Polizeischutz, Tsipras brachte sogar eigene Bodyguards mit. Stavros Theodorakis lehnt höflich, aber bestimmt ab und zwängt sich in den alten Nissan, der einem Freund gehört. Eine Klimaanlage hat der Kleinwagen nicht. Der Fahrtwind bringt etwas Kühlung. "Schön, wie der Thymian riecht", sagt Theodorakis.

Er kommt von hier, aus dem kleinen Dorf Drapanias, westlich von Chania. Stavros Theodorakis ist der etwas andere griechische Politiker. Und "To Potami", die Partei mit dem merkwürdigen Namen "Der Fluss", die er führt, ist eine ziemlich andere Partei. Theodorakis (52) war einer der bekanntesten Journalisten des Landes, als er im März 2014 seinen Beruf an den Nagel hängte und die Partei gründete. Er selbst charakterisiert sie als "weder rechts noch links", sondern als "proeuropäisch, innovativ, fortschrittlich". Bei der Wahl im Januar wurde die Partei viertstärkste Fraktion im Parlament, als sie 16 Sitze errang.

 Stavros Theodorakis im Wahlkampf.

Stavros Theodorakis im Wahlkampf.

Foto: afp, SM/LE

Der Wahlkampf ist ganz auf das Duell zwischen den Rivalen Tsipras und Meimarakis fokussiert. Das Linksbündnis Syriza und die konservative Nea Dimokratia (ND) liegen etwa gleichauf. Auch in der persönlichen Popularität sehen die Demoskopen die beiden Spitzenpolitiker inzwischen Kopf an Kopf.

Wer auch immer am Sonntag gewinnen wird, Tsipras oder Meimarakis: Mit einer absoluten Mehrheit kann keine der beiden großen Parteien rechnen. Dann müssten Nea Dimokratia und Syriza entweder eine große Koalition bilden, was Tsipras bisher als "unnatürlich" ablehnt. Oder es kommen andere Parteien ins Spiel, wie die sozialdemokratische Pasok - und "To Potami".

"In Kreta schaffen wir es" steht auf der blauen Kulisse, vor der Theodorakis sprechen soll. Es ist ein heißer Spätsommerabend im malerischen Stadtgarten von Chania. Die Grillen zirpen in den Bäumen. Das Publikum, das auf den weißen Plastikstühlen Platz genommen hat, ist eine bunte Mischung aus Jung und Alt, Studenten und Rentnern, Frauen und Männern. Auch Christa Maniataki erwartet ungeduldig den Auftritt des "Potami"-Vorsitzenden. ",Potami' ist neu und anders als die übrigen Parteien", sagt die 58-jährige Geschäftsfrau. Am wichtigsten ist in ihren Augen: "Es ist eine durch und durch europäische Partei." Petros Manoussos, ein anderer Zuhörer, stimmt zu. "Für mich ist Theodorakis unter den Parteichefs die einzige Stimme der Vernunft", erklärt der 56-jährige Bauingenieur.

Was Theodorakis durchsetzen will, ist für griechische Verhältnisse ziemlich revolutionär: "Politik darf kein Beruf sein", fordert er. Nach zwei Legislaturperioden müsse ein Abgeordneter pausieren. Berufspolitiker sucht man deshalb auf den Kandidatenlisten der Partei vergeblich. Für "To Potami" kandidieren Leute wie der prominente Verfassungsrechtler Nikolaos Aliviatzos oder Charis Theocharis, der unter der konservativen Regierung seinen Job als Generalsekretär im Finanzministerium verlor, weil er es mit dem Kampf gegen die Steuerhinterziehung etwas zu ernst nahm. Theodorakis ist zu einer Koalition mit beiden großen Parteien bereit, aber nicht um jeden Preis: Er werde keine Regierung unterstützen, "in der wieder die arbeitslosen Minister von gestern sitzen", sagt er und fordert einen "neuen Anfang".

Den verspricht auch Tsipras. "Wir haben die Kraft, die Kenntnis und die Leidenschaft, dieses Land zum Besseren zu verändern", ruft er den Zuhörern zu, die sich in Kalamata an der Südküste der Peloponnes versammelt haben. Hört man Tsipras zu, bekommt man den Eindruck, er kandidiere zum ersten Mal und habe nicht schon seit Januar regiert. Von der jüngsten Vergangenheit spricht er selten. Die Bankenschließungen, die Kapitalkontrollen, die Steuererhöhungen - diese dunklen Kapitel seiner ersten sieben Regierungsmonate spart er aus. Vielleicht ist auch deshalb die Stimmung eher verhalten. "Nichts Neues", resümiert ein Kioskbesitzer, der aus seiner Bude die Kundgebung verfolgt. Im Januar habe er Syriza gewählt, erzählt der alte Mann. "Aber geändert hat sich nichts, im Gegenteil - jetzt werden die Steuern noch mal erhöht und die Renten weiter gekürzt." Am Sonntag will er nicht zur Wahl gehen: "Ich habe Tsipras im Januar gewählt, das muss reichen." Der Kioskbesitzer steht mit dieser Meinung nicht allein. Fast 36 Prozent der Wähler, ermittelte das Institut Kapa, interessieren sich wenig oder gar nicht für diese Wahl. Das lässt keine besonders hohe Wahlbeteiligung erwarten.

Sosehr Tsipras die Zukunft beschwört: Es geht bei der Wahl auch um die Vergangenheit. Dass er in den vergangenen sieben Monaten fast keines seiner Versprechen einlöste, sondern den Griechen jetzt ein neues Sparprogramm zumutet, ist die schwerste Hypothek des Syriza-Chefs. Aber auch Oppositionsführer Meimarakis schleppt Altlasten: In den Augen vieler Griechen ist der 61-Jährige, der seit 26 Jahren im Parlament sitzt, ein Repräsentant jener politischen Klasse, die das Land mit Vetternwirtschaft und Schuldenmachen ruiniert hat. "Wir machen dieselben Fehler nicht noch einmal", beteuert Meimarakis. Auch Tsipras gesteht, er habe nicht alles richtig gemacht, brüstet sich aber sogar damit: "Fehler sind die Voraussetzung für Erfahrung."

Aufbruchsstimmung ist wenige Tage vor der Wahl in keinem der beiden großen Lager zu spüren. Müsste das nicht "To Potami" Rückenwind geben? In den Umfragen liegt die Partei bei knapp fünf Prozent, noch unter dem Wahlergebnis vom Januar - und weit unter ihrem selbst gesetzten Wahlziel von zehn Prozent. Stavros Theodorakis wirkt nachdenklich, enttäuscht. Er sagt: "Manchmal frage ich mich, ob das Gute wirklich so wenig Kraft hat."

(RP)
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