Berlin SPD und Union streiten über Paket für Bedürftige

Berlin · Wirtschaftsexperten warnen vor einer Mindestrente für Geringverdiener. Auch Genossen üben versteckte Kritik.

Die Fronten zwischen Union und SPD verhärten sich erneut in der Debatte um ein neues Sozialpaket für bedürftige deutsche Staatsbürger. Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel hat seinen Appell an die eigene Regierung bekräftigt, angesichts der Milliardenausgaben für Flüchtlinge die einheimische Bevölkerung nicht zu vergessen. "Es geht nicht um neue Schulden und erst recht nicht um Wahlgeschenke", sagte Gabriel der "Wirtschaftswoche". Er könne allen nur raten, die Realität in Deutschland nicht aus dem Auge zu verlieren. Zuvor hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Gabriels Vorstoß eines "neuen Solidarprojekts" für ärmere Deutsche als "erbarmungswürdig" zurückgewiesen.

Dass es die SPD-Führung aber mit ihrem Kurs ernst meint, zeigt das jüngste Rentenkonzept von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Sie will zwei Jahre nach dem Start der umstrittenen Kombination aus Rente mit 63 und Mütterrente eine Mindestrente für Geringverdiener einführen und stützt sich auf eine Absichtserklärung im Koalitionsvertrag. Union und SPD wollen demnach mit der "solidarischen Lebensleistungsrente" Menschen unterstützen, die 40 Jahre in der Rente Beiträge gezahlt haben, im Alter aber nicht über eine Rente im Gegenwert von 30 Entgeltpunkten hinauskommen. Aktuell sind das im Westen 876,30 Euro pro Monat. Für eine Übergangszeit sollen sogar 35 Beitragsjahre ausreichen. Dahinter steht der Gedanke, dass Menschen, die ein Leben lang fleißig waren, aber nur einen geringen Lohn hatten, im Alter nicht auf Sozialhilfe-Niveau leben sollen.

Das Problem: Hinter den Kulissen hatten sich die Koalitionäre wegen der anderen teuren Rentenreformen dem Vernehmen nach darauf geeinigt, die Rente für Geringverdiener hinten anzustellen. Selbst die Anhänger dieses Modells glaubten nicht mehr daran, dass die Lebensleistungsrente in dieser Wahlperiode noch eine Chance hat. Nun hat Nahles sie ohne Rücksprache mit der Union wieder auf die Tagesordnung gesetzt - schließlich passt sie zu Gabriels Vorstoß. Das Kalkül könnte folgendes sein: Weil die CDU die Lebensleistungsrente bereits in der schwarz-gelben Regierungszeit zwischen 2009 und 2013 einführen wollte, aber am Widerstand der FDP scheiterte, müsste sie der Reform jetzt zustimmen.

Heftiger Widerstand kommt jedoch aus der Wirtschaft. Dort war von "Wahlkampfgag" und einem drohenden "Umverteilungskampf" die Rede. Und hinter vorgehaltener Hand regt sich selbst unter Sozialdemokraten Abwehr gegen Gabriels neuen Kurs. Aus Kreisen der Länder hieß es, der Vorschlag befeuere Neid in der Umverteilungsdebatte zwischen Flüchtlingen und bedürftigen Deutschen. Das sei der absolut falsche Ansatz, insbesondere so kurz vor entscheidenden Landtagswahlen. Heute kommen im Kanzleramt die Spitzen von CDU und CSU zu Beratungen über die Flüchtlingskrise zusammen. Das SPD-Solidarprojekt dürfte dabei auch angesprochen werden.

(jd)
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