SPD-Parteitag in Berlin SPD holt sich Mutmacher Schröder

Berlin · Der Alt-Kanzler würdigt mit seinem ersten Auftritt seit acht Jahren bei einem SPD-Parteitag die verstorbenen berühmten Sozialdemokraten und empfiehlt einen wirtschaftsfreundlichen Kurs. Die Delegierten wirken verzagt.

Zum Ritual von SPD-Parteitagen gehört es, sich an den Taten der Überväter zu wärmen. Bei dem Delegierten-Treffen in Berlin gibt es kaum einen Redner, der sich nicht auf Willy Brandt und Egon Bahr beruft. So viel Identitätsstiftung und Zuspruch hatte die SPD selten nötig. Da tagt eine verunsicherte Partei in schwierigen Zeiten.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier bemüht sich, mit einer kleinen Anekdote, die Stimmung zu heben. Er plaudert vor den 600 Delegierten über seine letzte Zusammenkunft mit Bahr im Willy-Brandt-Haus. Wie immer habe Bahr gefragt, ob er rauchen dürfe. Als Steinmeier bejahte, packte der 93-Jährige seine Marlboro-Packung aus und hielt sie Steinmeier hin. Als dieser erklärte, dass er doch mittlerweile Nichtraucher sei, sagte Bahr: "Ich weiß, das kannst Du auch bleiben, aber nimm eine."

Durch den Zigarettenqualm habe Bahr dann gesagt, dass der Auftrag an die Sozialdemokratie für Frieden niemals so dringlich gewesen sei wie heute. In der Frage der Außenpolitik wird nicht nur der Nimbus von Brandt und Bahr bemüht, die Sozialdemokraten berufen sich inhaltlich auch auf deren Mut, in der Außenpolitik neue Wege zu beschreiten. In dem Beschluss zur Außenpolitik beziehen die Sozialdemokraten ihre Verpflichtung auf das Erbe von Brandt und Bahr insbesondere auf den Umgang mit Russland.

Für den Rückblick ist an diesem Tag eigentlich der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder zuständig. Er würdigt die in diesem Jahr verstorbenen Sozialdemokraten Helmut Schmidt, Egon Bahr und Günter Grass mit sensiblen Worten und tiefem historischen Bewusstsein. Mit seinem ersten Auftritt seit acht Jahren bei einem SPD-Parteitag vollzieht sich eine Art Generationenwechsel der SPD-Legenden. Der Agenda-Kanzler muss plötzlich die Rolle ausfüllen, die sonst Schmidt auf Parteitagen hatte. Schröder weiß die Rolle auf seine Art zu nutzen. Er verweist darauf, dass die SPD immer dann erfolgreich war, wenn sie mit ihrem Wirtschaftskurs in die Mitte der Gesellschaft rückte. Schmidt habe dies getan und er ebenso. Er bittet die Delegierten, auf diesem Kurs auch Parteichef Sigmar Gabriel zu unterstützen. Der Applaus dafür ist spärlicher als an anderen Stellen von Schröders Rede.

Es ist Gabriel, der den Parteitag aus den Sphären von Brandt und Schmidt herausholt und im Hier und Heute wieder erdet. Spontan geht der Parteichef auf die Bühne und ehrt eine Soziademokratin aus Sachsen, die im Ort Einsiedel als Altenpflegerin arbeitet und dort gegen Neonazis kämpft.

Damit ist die Debatte um die Flüchtlingspolitik eröffnet. "Wir schaffen das", zitiert die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer die Kanzlerin und stellt den Antrag vor, in dem sich die SPD zum Einwanderungsgesetz und einer Ausweitung des Bleiberechts bekennt. Dreyer ruft auch zum Kampf gegen die AfD auf. Die Partei sei "deutlich nach rechts gerutscht". Sie sei ein Monster geworden, sagt Dreyer und zitiert damit das frühere AfD-Vorstandsmitglied Hans-Olaf Henkel. Für Dreyer ist die AfD auch eine politische Bedrohung. Sollten die Rechtspopulisten bei den Wahlen im März in den Landtag einziehen, ist Dreyers rot-grüne Mehrheit dahin. Parteistrategen fürchten, dass die verhaltene Stimmung in der SPD, die sich auf dem Parteitag zeigt, bei einem Machtverlust in Rheinland-Pfalz endgültig in Verzweiflung und Verdruss über die anhaltend schlechten Umfragewerte umschlagen wird.

Dabei sollte von diesem Parteitag das Signal von inhaltlichem Aufbruch ausgehen. Doch das familienpolitische Konzept von Bundesministerin Manuela Schwesig für die Umwandlung des steuerlichen Ehegattensplittings in ein Familiensplitting, das Eltern mit Kindern mit und ohne Trauschein steuerlich besser stellen soll, ist wegen der Flüchtlingskrise in der Tagesordnung des Parteitags weit nach unten gerutscht.

(jd/qua)
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