Seoul Sonnenschein für Korea?

Seoul · Südkoreas Präsident setzt gegenüber dem Norden auf eine Politik der Beschwichtigung. Und er glaubt an eine Wiedervereinigung. Als Beispiel dient Deutschland. Aber der Vergleich hinkt.

Moon Jae In verfolgt ein großes, ein sehr großes Ziel: Er will die koreanische Halbinsel wiedervereinigen. Einst flohen seine Eltern aus dem Norden, er selbst wuchs später in ärmlichen Verhältnissen auf. Vielleicht fühlt sich Südkoreas Präsident den darbenden Landsleuten im Norden deswegen so nahe. Vielleicht setzt er deswegen so bedingungslos und gegen alle Kritik auf die koreanische Variante des Appeasement, die "Sonnenschein-Politik".

"Mein Vater hat den Kommunismus gehasst", begründet der 64-Jährige seine Haltung. "Ich selbst hasse das kommunistische nordkoreanische System. Was aber nicht bedeutet, dass ich die Menschen im Norden unter einer Diktatur leiden lassen sollte." Wandel durch Annäherung lautet seine Formel, die in ähnlicher Form einst auch die deutsche Ostpolitik motivierte. Nur dass die Lage an der Demarkationslinie zwischen den beiden Koreas noch viel trostloser ist. Und die dramatische Vorgeschichte der koreanischen Teilung macht die Sache auch nicht leichter.

Seit 1910 stand die Halbinsel unter japanischer Besatzung. Die Bevölkerung leistete teilweise Widerstand gegen die Invasoren, stärker im industrialisierten Norden als im agrarischen Süden. Aber in beiden Teilen des Landes gab es auch zahlreiche Kollaborateure. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kontrollierten die Siegermächte zunächst das Land. Im Norden standen sowjetische Verbände, die Kim Il Sung, der Begründer der bis heute in Pjöngjang herrschenden Dynastie, an die Macht verhalfen. Im Süden setzten die Amerikaner ein autoritäres Regime ein.

Beide Regierungen verstanden sich als einzig rechtmäßiger Nachfolger des 40 Jahre zuvor von Japan annektierten Kaiserreichs Korea. 1950 überfiel dann der Norden den Süden, um die Wiedervereinigung unter eigener Führung zu erzwingen. Auf der Seite des Südens griffen zunächst US-Streitkräfte und dann auch UN-Truppen ein. Als die Nordkoreaner daraufhin zurückwichen, schalteten sich chinesische "Freiwilligenverbände" in die Kämpfe ein. Der mit extremer Brutalität ausgetragene Konflikt weitete sich zum Stellvertreterkrieg aus.

Nach zweijährigen Verhandlungen wurde am 27. Juli 1953 ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen, das als Grenzlinie den 38. Breitengrad festlegte. Das Gemetzel, das fast eine Million Soldaten und rund drei Millionen Zivilisten das Leben gekostet hatte, endete ziemlich genau beim Zustand vor dem Ausbruch des Krieges. Chinesische Truppen blieben bis 1958 im Norden stationiert, ein amerikanisches Kontingent steht bis heute im Süden. Und ein Friedensvertrag wurde nie unterzeichnet.

Die Folgen des Koreakriegs waren schrecklich. Beinahe die gesamte Industrie des Landes wurde zerstört. Nur erholte sich der Süden weit schneller von den Verwüstungen. Mitte der 60er Jahre begann das südkoreanische Wirtschaftswunder, während der Norden zusehends verarmte. In gleichem Maße wuchs das Misstrauen zwischen den beiden Staaten, obwohl stets über eine mögliche Wiedervereinigung gesprochen wurde. 1972 wurde erstmals eine "Gemeinsame Erklärung" veröffentlicht, in der sich beide koreanischen Regierungen zu diesem Ziel bekannten.

Zu wirklichem Tauwetter kam es aber erst nach dem Fall der Mauer. Am 21. September 1991 traten die beiden Koreas offiziell der Uno bei. Drei Monate später unterzeichneten sie ein "Abkommen über Versöhnung, Nichtaggression, Austausch und Zusammenarbeit". Doch kurz darauf startete Kim Il Sung das nordkoreanische Atomprogramm - angeblich überzeugt davon, dass die USA nach dem Untergang des Ostblocks auch sein Regime bald beseitigen wollten.

Kurioserweise blieb die Politik des Nordens auch unter seinen Nachfolgern beständiger als der Kurs der südkoreanischen Regierungen. Je nachdem, ob der jeweilige Präsident in Seoul vom baldigen Zusammenbruch des Kim-Regimes überzeugt war oder nicht, änderte das die Haltung gegenüber dem Nachbarn im Norden - man schwankte zwischen scharfer Isolierung und dosierter Annäherung.

Nun ist mit Moon Jae In wieder ein Vertreter jener Entspannungspolitik am Ruder, die vor allem zu Beginn des Jahrtausends Hoffnung geweckt hatte. In diese Zeit fielen unter anderem die Eröffnung der Sonderwirtschaftszone Kaesong auf nordkoreanischem Boden sowie die Öffnung mehrerer Straßen- und Zugverbindungen zwischen beiden Staaten. Diese Erfolge der "Sonnenscheinpolitik" wurden aber ab 2006 durch eine Serie von nordkoreanischen Atombombentests überschattet. Auch beim jüngsten Gesprächsangebot des Nordens weiß niemand, wie ernst es Kim Jong Un meint. Moon Jae In will es trotzdem riskieren, um den Teufelskreis der Feindseligkeiten zu durchbrechen.

(RP)
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