Berlin Die SPD rückt ein Stück nach links

Berlin · Die Sozialdemokraten in Deutschland haben einen Vorsitzenden, der auch in SPD-Hintergrundkreisen gern und oft attackiert wird. Seit Monaten steht die Partei in Umfragen schlecht da, sie hat es seit der Bundestagswahl nicht geschafft, ihr damaliges Ergebnis von 25,7 Prozent zu übertrumpfen. Zu den Gepflogenheiten der Partei gehört es aber scheinbar, nicht mit offenem Visier gegen Sigmar Gabriel ins Gefecht um Positionen und Deutungen zu ziehen. Denn in Berlin haben die rund 200 Delegierten aus dem gesamten Bundesgebiet ihrem Vorsitzenden demonstrativ gestern den Rücken gestärkt. Zum Schlagabtausch beim Parteikonvent im Willy-Brandt-Haus kam es jedenfalls nicht.

Nach Angaben von Teilnehmern schlug Gabriel in seiner Rede hinter verschlossenen Türen einen Mitte-Links-Kurs ein. Aufgabe der SPD sei es, die Mitte als linke Volkspartei zu erobern. Man müsse die Deutungshoheit erlangen "und die Mitte nach links rücken", sagte Gabriel. Schließlich werde das Wählerpotenzial der Mitte in der berufstätigen Bevölkerung von allen Parteien hart umkämpft. Um sich vom Koalitionspartner Union trotz des gemeinsamen Regierungshandelns stärker abzugrenzen, will Gabriel im kommenden Bundestagswahlkampf verstärkt auf Themen der sozialen Gerechtigkeit wie Steuerverteilung, Bildung, Rente und Familienpolitik setzen. Dem SPD-Chef zufolge will seine Partei Normalverdiener entlasten. Die SPD solle darüber diskutieren, wie sie mithelfe, dass Bezieher mittlerer und niedriger Einkommen mehr Geld in den Taschen hätten: "Ob man das über die Steuerpolitik macht oder über andere Instrumente, das werden wir beraten", sagte Gabriel vor Journalisten.

Zudem sprach er sich dafür aus, dass der Bund den Ländern deutlich mehr Unterstützung bei der Bildung zukommen lässt. Er schlug einen "großen Bildungspakt" vor, schließlich müsse man sich in Deutschland um das Gold in den Köpfen kümmern, wenn man kein Gold im Boden habe, sagte Gabriel. Der SPD-Chef sprach sich anders als viele Bildungspolitiker in den Ländern und Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) zudem für eine Abschaffung des umstrittenen Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern aus. Das 2006 ins Grundgesetz eingefügte Kooperationsverbot für den Bildungsbereich soll den Föderalismus in der Schulpolitik absichern. Das Statut gehöre wieder abgeschafft, "weil es ja irre ist, dass wir jeder in unseren Reden sagen, wie wichtig Bildung ist, und dann der Bund den Ländern nicht mal Geld geben darf, um zu besseren Bildungseinrichtungen zu kommen", sagte Gabriel. Er plädierte dafür, dass der Bund den Ländern beim Programm "Soziale Stadt" mehr Gelder zukommen lasse oder Sozialarbeiterstellen an Ganztagsschulen finanzieren könne.

Die Delegierten beschäftigten sich außerdem mit einem Leitantrag für mehr bezahlbaren Wohnraum im Land. Nach dem Willen der Sozialdemokraten sollen demnach Vermieter künftig verpflichtet werden, über die bisherige Miete Auskunft zu geben, damit neue Mieter besser nachvollziehen können, ob etwaige Preiserhöhungen gerechtfertigt sind. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) reagierte mit der Präsentation dieses Beschlusses auf jüngste Berichte, die von Justizminister Heiko Maas (SPD) eingeführte Mietpreisbremse wirke kaum oder nur in wenigen Fällen.

Für Gabriel bedeutet der ruhige Verlauf des Konvents jedoch keinerlei Entspannung. Gerade weil die Genossen auch in der Vergangenheit schon eine direkte Konfrontation scheuten: Beim Bundesparteitag im Dezember klatschten zunächst alle für Gabriels Rede, watschten ihn hinterher aber mit nur knapp 75 Prozent ab. Er muss sich daher darauf gefasst machen, dass in den kommenden Tagen wieder vermeintliche Parteifreunde mit Gegenpositionen oder versteckten Angriffen gegen ihn angehen werden. Fraglich ist jedenfalls, ob der linke Parteiflügel nun mit Gabriels Mitte-Links-Kurs einverstanden ist.

(jd)
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