Interview mit Dimitris Avramopoulos "Sichere und legale Wege nach Europa schaffen"

Der EU-Flüchtlingskommissar will den gefährlichen Weg übers Mittelmeer durch eine Blue Card und Perspektiven in der Heimat verhindern.

Warum braucht die EU keinen Plan B zum möglicherweise scheiternden EU-Türkei-Abkommen?

Avramopoulos Wir haben einen umfassenden Plan A zur Bewältigung der Flüchtlingskrise und wollen das Flüchtlingsabkommen und auch die anderen Teile unserer Migrationsagenda umzusetzen. Wir haben im letzten Jahr in Rekordzeit eine ganze Reihe von Maßnahmen vorangebracht, die das Migrationsmanagement der Union insgesamt stärken - etwa durch einen besseren Grenzschutz, finanzielle Hilfen für besonders betroffene Mitgliedstaaten und neue Partnerschaften mit Drittstaaten. Das Türkeiabkommen ist ein wichtiger Teil unseres Plans, aber nicht der einzige.

Reicht der Ausbau von Frontex wirklich schon aus, um die EU-Außengrenzen zu sichern?

Avramopoulos Der europäische Grenz- und Küstenschutz ist ein zentraler Baustein für die Stärkung unserer Außengrenzen. Mittel für Personal und Ausrüstung werden massiv aufgestockt. Zusätzlich wird eine rasch mobilisierbare Reserve von Grenzbeamten zur Verfügung stehen, um im Notfall schnell eingreifen zu können. Hauptaufgabe der neuen Behörde wird sein, Schwachstellen bei der Grenzsicherung früh zu erkennen und den Mitgliedstaaten dabei zu helfen, diese schnell zu beseitigen.

Was muss außerdem hinzukommen?

Avramopoulos Wir können Zuwanderung nach Europa nur steuern, wenn wir unsere Kräfte bündeln und gemeinsam handeln. Dazu gehört der Abschluss neuer maßgeschneiderter Migrationspartnerschaften mit Herkunfts- und Transitländern, zum Beispiel in Afrika. So können wir Fluchtursachen gezielt bekämpfen und zugleich die Rückführung illegaler Migranten, die keinen internationalen Schutz benötigen, in ihre Heimatländer beschleunigen. Innerhalb der EU müssen wir für eine faire Lastenteilung sorgen. Darauf zielt unser Vorschlag für die Reform des Dublin-Systems.

Wann nehmen die Partnerländer den Italienern und Griechen, wie versprochen, 27.000 Flüchtlinge ab?

Avramopoulos Die Umverteilung geht immer noch zu langsam voran, auch wenn sich in den letzten Monaten das Tempo leicht erhöht hat. Bisher wurden 4700 Menschen aus Griechenland und Italien in andere Mitgliedstaaten gebracht. Die EU-Mitgliedstaaten haben diesen Notfallmechanismus gemeinsam beschlossen - es ist wichtig, dass sie ihn nun auch voll umsetzen.

Wie fit ist Griechenland für die Bewältigung der Flüchtlingsdynamik?

Avramopoulos Griechenland hat angesichts der gewaltigen Herausforderung in der Flüchtlingskrise viel geleistet und steht weiter enorm unter Druck. Es ist wichtig, dass wir diese besondere Situation nicht aus den Augen verlieren. Die Behörden haben besonders bei der Registrierung und der Unterbringung der Neuankömmlinge große Fortschritte gemacht. Die Kommission und auch EU-Agenturen wie Frontex, das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen und Europol unterstützen das Land dabei mit aller Kraft, sowohl finanziell als auch mit Personal und Ausrüstung. Wir dürfen in unseren Anstrengungen jetzt nicht nachlassen.

Welche Fortschritte macht die legale Migration aus Afrika?

Avramopoulos Die Schaffung sicherer und legaler Wege nach Europa ist wichtig, weil wir so die Menschen davon abhalten können, sich mithilfe von Schmugglern auf die gefährliche Überfahrt nach Europa zu begeben. Dazu gehört die Aufnahme von Schutzbedürftigen direkt aus ihren Herkunftsländern. Wir haben dafür einen gemeinsamen europäischen Neuansiedlungsrahmen vorgeschlagen, um die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zu bündeln. Außerdem wollen wir Hochqualifizierten im Rahmen einer neuen Blue Card die Möglichkeit geben, leichter eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu erlangen.

Können Hotspots in Afrika die gefährlichen Bootstouren verhindern?

Avramopoulos Nein. Wir können die vielen Todesfälle im Mittelmeer nur verringern, indem wir echte Alternativen in den Herkunfts- und Transitländern schaffen, und den Menschen dabei helfen, in der Nähe ihrer Heimat zu bleiben. Wir müssen außerdem die Schmuggler bekämpfen. Das tut die EU im Rahmen der multinationalen Operation EUNAVFOR MED Sophia, die gegen Menschenschmuggler im Mittelmeer vorgeht und am Aufbau einer libyschen Küstenwache mitarbeitet.

Mit wie vielen Flüchtlingen rechnen Sie in diesem Jahr in der EU?

Avramopoulos Genaue Voraussagen lassen sich nur schwer treffen. Fest steht aber, dass sich die illegalen Einreisen nach Griechenland seit dem Abschluss des EU-Türkei Abkommens im März stark verringert haben. Die Zahl der Geretteten im Mittelmeer und die Ankünfte in Italien liegen etwa auf dem Niveau von 2015.

Gregor Mayntz führte das Gespräch.

(RP)
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