Ankara Schwere Krise zwischen Türkei und USA

Ankara · Vorerst gibt es für Türken keine US-Visa mehr. In Berlin löst die Anklage gegen den Menschenrechtler Peter Steudtner Protest aus.

Ein kurzer Städtetrip nach New York, eine Geschäftsreise nach Chicago? Für türkische Staatsbürger, die bisher kein Visum im Pass haben, ist daran vorerst nicht mehr zu denken. Die US-Konsulate in der Türkei haben mit Wirkung vom vergangenen Wochenende die Vergabe von Sichtvermerken bis auf Weiteres gestoppt. Ankara reagierte postwendend und setzte die Visa-Vergabe für US-Bürger ebenfalls aus. Der Stopp gilt auch für elektronische Visa, die Besucher bisher bei der Einreise am Flughafen Istanbul erhalten konnten. Damit müssen US-Bürger ab sofort damit rechnen, an den türkischen Grenzen abgewiesen zu werden.

Damit hat die Türkei mitten im Streit mit Deutschland um inhaftierte deutsche Staatsbürger nun auch eine massive diplomatische Krise mit den USA. Die USA begründeten die Aussetzung der Visa-Vergabe damit, man müsse angesichts "jüngster Ereignisse" überprüfen, inwieweit die türkische Regierung den Schutz der diplomatischen Vertretungen der USA und ihres Personals gewährleiste. Mit "jüngsten Ereignissen" meinen die USA die Verhaftung von Metin Topuz. Der türkische Staatsbürger, der beim US-Konsulat in Istanbul als Ortskraft beschäftigt ist, wurde am vergangenen Mittwoch von der Polizei festgenommen. Die türkischen Behörden werfen ihm Verbindungen zu Fethullah Gülen vor, den Erzfeind des Staatschefs Recep Tayyip Erdogan. Er sieht in Gülen den Drahtzieher des Putschversuchs vom Juli 2016. Die US-Regierung zeigte sich "hoch besorgt" über die Festnahme von Topuz und nannte die Vorwürfe gegen ihn "völlig unbegründet".

Über 54.400 Menschen sitzen in der Türkei bereits wegen angeblicher Gülen-Verbindungen in Haft. Erst vergangene Wochen wurden weitere 35 Richter entlassen. Der Fall Gülen und die Jagd auf seine Anhänger werden zu einer immer größeren Belastung für die Beziehungen der Türkei zu den USA. Der islamische Prediger Gülen lebt seit 1999 im Exil im US-Bundesstaat Pennsylvania. Die Türkei fordert seine Auslieferung - bisher vergeblich. Ankara habe noch keine stichhaltigen Beweise für Gülens Putsch-Beteiligung vorgelegt, heißt es in amerikanischen Justizkreisen.

Derweil sitzt der US-Bürger Andrew Brunson in türkischer Haft. Der protestantische Pastor lebt seit 20 Jahren in der Türkei und betreute eine kleine christliche Gemeinde in der Hafenstadt Izmir, bevor er im Oktober 2016 festgenommen wurde - auch er wegen angeblicher Gülen-Verbindungen. Der US-Senator James Lankford wirft der Türkei vor, sie halte den Geistlichen als Geisel fest - ein Vorwurf, den auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel im Blick auf die elf deutschen politischen Gefangenen in der Türkei erhebt.

Die türkische Regierung bestreitet das. Erdogan selbst bestätigte diesen Verdacht aber, als er am vergangenen Wochenende bei einer Parteiveranstaltung im westtürkischen Afyonkarahisar auftrat. "Die im Westen versuchen, einige Leute bei uns freizubekommen. Wenn ihr Leute von uns wollt, müsst ihr uns zunächst jene geben, die wir von euch wollen", sagte Erdogan an die Adresse des Auslands.

Bereits Ende September hatte Erdogan in einer Rede im Präsidentenpalast von Ankara eine direkte Verbindung zwischen den Fällen Brunson und Gülen hergestellt: "Auch ihr haltet einen Pastor fest", sagte Erdogan in Richtung der USA. "Gebt ihn heraus, dann werden wir versuchen, euch den amerikanischen Pastor zu geben." Auch im Fall der inhaftierten Bundesbürger - darunter der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel und der Menschenrechtler Peter Steudtner - habe Erdogan in einem Gespräch mit Bundesaußenminister Gabriel einen Austausch angeboten, berichtete der "Spiegel". Die Bundesregierung bekräftigte gestern ihren Protest. "Es ist so, dass wir überhaupt keinen Anlass haben, auch nur dem Verdacht zu folgen, Herr Steudtner habe sich irgendeiner Straftat schuldig gemacht", sagte Gabriel.

Erdogan fordert seit Monaten von Berlin die Auslieferung mutmaßlicher Gülen-Anhänger, die sich in Deutschland aufhalten. Seit dem Putschversuch haben fast 200 türkische Diplomaten in Deutschland Asyl erhalten. Während es aus deutscher Sicht nicht vorstellbar ist, Asylbewerber an die Türkei auszuliefern, könnte Erdogan persönlich einen solchen Austausch veranlassen, über die türkische Justiz hinweg: Mit einem im August herausgegebenen Dekret ermächtigte sich der Staatschef, ausländische Gefangene in deren Heimatländer abzuschieben, wenn das den nationalen Interessen dient.

(RP)
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