Analyse Schottland - Sprengsatz für Europa

London · Werden die Schotten unabhängig, droht ein EU-Austritt von England. Die britische Macht in Europa verfällt. Die Unsicherheit über Währung und Öl-Verteilung sind Gift für Investoren. Auch die Atomstreitmacht steht infrage.

Fragen und Antworten zum Referendum in Schottland
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Foto: afp, LN/aa/JR

Was würde ein Austritt politisch für die Insel bedeuten?

Völkerrechtlich ist ein unabhängiges Schottland nicht zu beanstanden. Es existiert ein Staatsvolk, seit Jahrhunderten unveränderte Grenzen und die Fähigkeit der Administration, einen Staat zu organisieren, auch wenn der nur fünf Millionen Einwohner hätte. Die Folgen für England und Schottland wäre allerdings gravierend.

Das bisherige politische Gleichgewicht zerfällt, Schottland hätte die Wahl zwischen Nationalisten und der sozialdemokratischen Labour Party, die aber eine sehr ähnliche Sozial- und Wirtschaftspolitik betreiben. In England wäre die Regierung der Konservativen auf Dauer gesichert. Hier hätte Labour auf absehbare Zeit keine Chance, die Regierung zu stellen, da Schottland ihre Hochburg war (41 Parlamentssitze gegen einen der Konservativen). Insgesamt würde der Einfluss der Briten in Europa und der Welt dramatisch sinken. Da England die Atom-U-Boote, die derzeit in Schottland lagern, heimholen muss, könnte auch die nukleare Streitmacht der Briten insgesamt zur Disposition stehen. Über die Rückführung der U-Boote könnte hässlicher Streit entstehen.

David Cameron wirbt für einen Verbleib Schottlands im Königreich
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Was würde der Austritt für die Europäische Union bedeuten?

In Großbritannien soll es 2017 ein Referendum über den Verbleib in der Europäischen Union geben. Schon jetzt wird ein knapper Ausgang erwartet. Wenn die Briten für die EU stimmen, dann nur, weil die Schotten so europafreundlich sind. In England selbst sind die EU-Gegner in der Mehrheit. Tritt das Land aus, wäre die EU nicht mehr dieselbe. Deutschland und die nördlichen Länder würden gegenüber dem Süden einen wichtigen wirtschaftspolitischen Verbündeten verlieren. Die romanische Schiene (Frankreich, Italien, Spanien, Portugal) und Osteuropa würden stark an Einfluss gewinnen. Deutschland könnte mit seiner Stabilitätspolitik schnell isoliert werden. Es ist sogar möglich, dass in Schweden, Dänemark, Finnland und den Niederlanden die EU-feindlichen Kräfte Auftriebe erhielten. Zugleich würde das internationale Gewicht der EU deutlich schwinden. Sie würde sich aus dem Mächtegleichgewicht zwischen USA, China und Russland sowie den aufsteigenden Schwellenländern verabschieden.

Wäre Schottland ein Vorbild für andere Regionen in Europa?

Jede Region hat ihre eigene Geschichte, doch dürfte ein erfolgreiches Referendum die Separatisten überall in Europa ermuntern. Mit besonderer Sorge blickt die spanische Regierung auf den Ausgang der Abstimmung. Sie hat bereits ein für November geplantes Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens untersagt. Seit Jahrzehnten will zudem das Baskenland unabhängig werden. Spanische Aktien reagieren bereits jetzt auf jede neue Umfrage in Schottland.

Welche Währung und welche Schulden bekommt Schottland?

Falls die Schotten für die Abspaltung stimmen, bleibt zunächst das Pfund Zahlungsmittel. Denn die Unabhängigkeit soll nach bisherigen Planungen erst im März 2016 kommen. Viele Separatisten würden gerne das Pfund in einer Währungsunion mit Großbritannien behalten. Davon aber will die Politik in London nichts wissen. Und so droht dem Land eine lange Phase der Unsicherheit, was Gift für Investoren ist. Auch die Aufteilung der Staatsschulden ist noch offen.

Welche wirtschaftlichen Folgen hätte der Austritt für Schottland?

Kapital ist ein scheues Reh, heißt es. Und so könnten viele Vermögensverwalter ihr Geld wegen der Unsicherheit über Währung und Schulden abziehen. Das in Schottland verwaltete Vermögen wird auf 560 Milliarden Pfund geschätzt, das sind elf Prozent des britischen Marktes. Und selbst wenn die Schotten eine eigene Währung einführen, droht neues Ungemach. Auf Unternehmen (und Touristen) kämen Umtauschpflichten zu. Eine neue Währung macht zudem für Unternehmen die Absicherung gegen Währungsschwankungen teurer. Schon jetzt drohen internationale Öl-Konzerne mit Verlagerung ihrer Zentralen. Zudem würde Schottland mit der Abspaltung auch aus der Europäischen Union (EU) fliegen. Damit würde das Land die Nachteile des großen europäischen Binnenmarktes verlieren. Zwar könnte Edinburgh den Eintritt beantragen, doch das braucht Zeit. Zudem dürften die verlassenen Engländer den Schotten Steine in den Weg legen.

Was passiert mit Schottlands Öl?

90 Prozent der britischen Ölreserven liegen vor der schottischen Küsten. Bisher fließen die darauf entfallenden Steuereeinnahmen in den Haushalt des Vereinten Königreichs. Schottland stärker von seinem Öl profitieren zu lassen, ist ein Hauptargument der Separatisten. Sie wollen, dass künftig auch 90 Prozent der Steuern in Schottland bleiben. Im besten Fall könnte Edinburgh so 15 Prozent seines Staatshaushaltes aus dem Ölgeschäft decken.

Welche Folgen hätte ein Austritt für die deutsche Wirtschaft?

Deutschland exportierte 2013 Waren (vor allem Maschinen und Autos) für fünf Milliarden Euro nach Schottland. Damit ist die Region unter den 50 wichtigsten Absatzmärkten und hat größere Bedeutung als die Euro-Krisenstaaten Griechenland oder Irland. Für die deutschen Hersteller würde der Absatz in einem unabhängigen Schottland teurer und schwieriger werden, je nachdem wie stark das schottische Pfund wird und wie hoch die Kosten der Währungsabsicherung ausfallen. Bedeutsamer dürften aber die Folgen sein, die sich aus einer Verkleinerung der EU ergeben.

(RP)
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