Wildbad Kreuth Schon wieder ein Ultimatum

Wildbad · 2016 müsse die Wende in der Flüchtlingskrise bringen, teilt CSU-Chef Horst Seehofer der Kanzlerin in Wildbad Kreuth mit. Die betont dagegen den Wert der Freizügigkeit. Und reagiert auf den bayerischen Empfang mit Süffisanz.

 Dicke Luft: Horst Seehofer und Angela Merkel werden sich bei der Flüchtlingspolitik nicht einig.

Dicke Luft: Horst Seehofer und Angela Merkel werden sich bei der Flüchtlingspolitik nicht einig.

Foto: Johannes Simon

Kreuth Ein Anflug voller Symbolik. Pünktlich erreicht der Kanzler-Hubschrauber das "Alte Bad", das Tagungszentrum der CSU-Landesgruppenklausur in Wildbad Kreuth, überfliegt die erwartungsvoll wartende Schwesterpartei aber erst einmal in größerer Höhe, bevor er dreht und dann bei der Landung gehörig Schnee aufwirbelt. Den ersten Kanzler-Besuch bei einer solchen Kreuth-Klausur in 40 Jahren hat CSU-Chef Horst Seehofer zuvor ordentlich aufgeladen, indem er den Druck auf die CDU-Vorsitzende mit der Vorgabe einer Flüchtlings-Obergrenze von "höchstens 200.000" erhöhte.

Eine Stunde später erklärt die Kanzlerin hinter verschlossenen Türen im Tagungsraum 6 der Hanns-Seidel-Stiftung den CSU-Abgeordneten ohne Schnörkel, was sie davon hält: "Nicht hilfreich", sagt sie, aber das sei ja bekannt. Diese Kanzlerin will stehen. Und wenn es den CSU-Abgeordneten noch so sehr missfällt. Einige rügen ausdrücklich, dass sie nicht an eine massive Verstärkung der nationalen Grenzkontrollen heranwill. Doch dem hält sie entgegen, dass gerade die Freizügigkeit wichtig und "Motor der wirtschaftlichen Prosperität" sei.

Gut ein Dutzend Abgeordnete melden Klärungsbedarf an, wollen etwa wissen, wie der "Plan B" aussieht, den sich die Kanzlerin überlegt hat, wenn sie die versprochene deutliche Reduzierung der Flüchtlingszahlen mit den angedachten Mitteln nicht hinbekommt. Statt auf Wechsel zu Neuem setzt sie auf Mehr vom Laufenden. Es könne nur eine europäische Lösung geben, und dafür brauche es Zeit. Etwa um mit der Türkei die künftige Rolle zu klären. Was ist mit den Flüchtlingskosten und deren Auswirkungen auf die staatlichen Haushalt, wollen andere CSUler wissen. Und erleben eine Kanzlerin, die sich erneut festlegt: "Eher gebe ich die schwarze Null auf, als dass es Steuererhöhungen gibt."

Aber auch Seehofer gibt sich zu Beginn der Klausur entschlossen. "Zwei-hun-dert-tau-send", sagt er noch einmal langsam zum Mitschreiben. Das sei eine Größenordnung, mit der Deutschland seit der Wiedervereinigung Erfahrung habe. Und das sei auch die Summe, die die EU bei einer gesamteuropäischen Kontingentierung als deutschen Anteil herunterrechne.

Doch es ist nicht die Zahl, die dabei herauskommt, wenn die Entwicklung so weitergeht. Seehofer bringt frische Statistiken mit. Danach überschreiten immer noch täglich 3000 bis 4000 Menschen die deutsche Grenze. In 50 Tagen kann Seehofers Obergrenze also schon gebrochen sein. Und was ist dann mit dem zweihunderttausendund-ersten Flüchtling? Die Frage ist Seehofer "nicht ernsthaft genug", entgegnet er der Reporterin. Und will auch auf Nachfrage kein Konzept präsentieren. Jedenfalls müsse man sie auch nicht als "Brutto" verstehen. Will sagen: Alle Flüchtlinge, die kein Bleiberecht erhalten, lassen sich herausrechnen. Und er verlangt auch nicht, dass Merkel noch in Kreuth den Schalter umlegen muss. Doch 2016 müsse die "Wende" in der Flüchtlingspolitik bringen. Ein Ultimatum mit Dehnfaktor. Gerade im vergangenen Jahr hatte Seehofer der Kanzlerin eine Frist gesetzt, um den Flüchtlingsstrom zu begrenzen.

Merkel gibt er zugleich Zeit für internationale und europäische Lösungen, dafür will auch Seehofer ausdrücklich den Januar und Februar abwarten, doch dann kommt erneut seine Festlegung: "Abgerechnet wird an der Grenze." Wie wird Merkel darauf reagieren?

Die übernimmt gleich die Regie. Drei Mikrofone sind bei ihrer Begrüßung aufgebaut. Eines für Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt, die gar nicht genug würdigende Worte für die Ehre findet, dass erstmals "ein Bundeskanzler" die CSU-Landesgruppe in Kreuth besucht. Eines für Merkel, die süffisant bemerkt, wie toll es doch sei, dass es diese Premiere nicht nur mit einer Bundeskanzlerin, sondern auch mit einem "Bundeskanzler" gebe. Und eines für Seehofer. Doch der könnte, selbst wenn er wollte, nichts mehr sagen. Denn kaum hat Merkel die "Herausforderung" angesprochen, durch europäische wie nationale Maßnahmen die "Flüchtlingsbewegung zu bewältigen", beendet sie die inszenierte Begrüßung auch schon mit den Worten: "So, und jetzt geht's ans Arbeiten, glaub ich." Wortlos kommt Seehofer hinterher.

Der nimmt sich am Nachmittag vor Journalisten schon auf sehr ironische Weise zurück, indem er darauf hinweist, dass seine Obergrenzen-Definition aus einer Zahl "mit fünf Nullen" bestehe, während hier "nur eine" stehe - und dabei auf sich selbst zeigt. Will er sich damit selbst politisch auf null bringen? Die Nachfolgefrage werde 2016 "die geringste Rolle" spielen, versichert er. Heißt: Die Auseinandersetzung um den richtigen Weg durch die Flüchtlingskrise wird er befeuern. In zwei Wochen geht es weiter. Dann mit der bayerischen Landtagsfraktion an derselben Stelle. Und wieder mit Merkel. Da werden die Fragen sicherlich noch deutlicher werden, sagt ein CSU-Grande voraus.

(may-)
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