Berlin Schmerzhafter Groko-Kompromiss

Berlin · Kanzlerin Merkel verlangt von allen drei Parteien weitgehende Zugeständnisse. Heute soll der schwarz-rote Koalitionsvertrag vorgestellt werden. Bonn wird Ministeriumsstandorte behalten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat bei einer Neuauflage der schwarz-roten Regierung trotz "kleinteiliger" Koalitionsverhandlungen den großen Blick auf Wohlstand und Sicherheit Deutschlands in einer unruhigen Welt angekündigt. Unter dem Eindruck des Crashs an der Wall Street und der Folgen für die europäischen Börsen sagte sie gestern bei der letzten Verhandlungsrunde: "Wir dürfen das Zentrale nicht aus dem Auge verlieren, wenn wir uns einmal die unruhigen Börsenentwicklungen der letzten Stunden anschauen."

Am späten Abend sah es nach einem Durchbruch in den Verhandlungen der drei Parteichefs Merkel, Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) in der Nacht aus. Die große Entscheider-Runde von 91 Unterhändlern sollte nach Angaben aus den Parteien allerdings erst wieder heute Morgen zusammenkommen. Unklar war bis zuletzt, wie Streitthemen in der Gesundheits- und der Arbeitsmarktpolitik gelöst werden. Offen war ferner, ob die drei Parteien vor der anstehenden SPD-Mitgliederbefragung die Ministerien verteilen, wie es Schulz befürwortet. Für eine Teilnahme am Mitgliederentscheid lief die Frist für Neueintritte in die SPD gestern um 18 Uhr ab. Die SPD spricht von 24.339 Neuzugängen seit Neujahr. Für die Befragung der Mitglieder sind drei Wochen angesetzt. Erst nach einem Ja könnte eine neue Regierung gebildet werden.

Merkel sagte, sowohl CDU und CSU als auch die SPD müssten schmerzhafte Kompromisse für einen Koalitionsvertrag machen, der umfangreich, detailliert und kompliziert sei. Beide Seiten hätten aber die Lebensqualität und den Wirtschaftsstandort im Auge.

Nach einem Entwurf des Koalitionsvertrags, der unserer Redaktion vorliegt, soll die geplante Rentenkommission ihre Empfehlungen für eine Rentenreform erst bis März 2020 vorlegen. Dazu soll ein Vorschlag gehören, welche Mindestrücklage erforderlich ist, "um die ganzjährige Liquidität der gesetzlichen Rentenversicherung zu sichern". Ferner bleiben Union und SPD bei ihrer harten Sanktionspolitik gegen Russland. Der von der SPD angestrebte schrittweise Abbau der Strafmaßnahmen schon vor einer vollständigen Umsetzung des Minsker Friedensabkommens für die Ost-Ukraine findet sich nicht wieder. Ausgaben für die Bundeswehr und die Entwicklungshilfe sollen künftig im Verhältnis eins zu eins steigen. CDU, CSU und SPD erneuern zudem ihr Bekenntnis zum Bonn-Berlin-Gesetz, womit Bonn neben Berlin das zweite bundespolitische Zentrum bleibt. Zugleich gibt es eine Garantie für die dortigen Ministeriumsstandorte. Ferner soll das Verhältnis des Bundes zu Bonn auf eine zusätzliche vertragliche Grundlage ("Bonn-Vertrag") gestellt und damit die Zukunft der Region sowie von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gesichert werden.

Der Präsident des Steuerzahlerbunds, Reiner Holznagel, kritisierte, dass der Solidaritätszuschlag erst ab 2021 und nicht für alle Bürger abgeschafft werden soll. Der Solidarpakt laufe schon Ende 2019 aus. "Damit verschafft sich die Groko klammheimlich ein weiteres Polster und kassiert für 2020 nochmals gut 20 Milliarden Euro." Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger, sagte, die Groko breche bereits mit dem Ziel, in der EU geschlossen aufzutreten. Schulz erkläre die Sparpolitik für beendet, Merkel habe in der Fraktion beteuert, am Stabilitätskurs festzuhalten. Einen "Januskopf" dürfe sich das Land aber "in diesen verstörend unsicheren Zeiten nicht leisten".

(jd/kd/mar/hom)
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