Mossul Saddam Husseins Prestige-Damm droht zu brechen

Mossul · Die Talsperre am Tigris ist marode. 500.000 Menschen könnten sterben, wenn die Mauer nachgibt. Jetzt beginnt die Reparatur.

"Feuer oder Flut" ist ein altes Sprichwort, wenn es um die turbulente Geschichte Iraks geht. Im Moment hat das Zweistromland beides zu fürchten. Während in Mossul, der ehemals zweitgrößten Stadt Iraks, seit fast zwei Jahren die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) regiert, droht 50 Kilometer flussaufwärts am Tigris eine andere Katastrophe ungekannten Ausmaßes: Iraks größter Staudamm könnte brechen.

Vor gut einem Monat schlug der amerikanische Generalleutnant Sean MacFarland, der derzeit die US-Truppen im Irak kommandiert, Alarm. Sensoren, die von Militäringenieuren am Damm installiert wurden, hätten tiefe Risse in dessen fragilem Gipsbett festgestellt, und niemand könne sagen, wie lange die 135 Meter hohe und dreieinhalb Kilometer lange Staumauer noch halte. Eine daraufhin erstellte Studie ergab, dass im Falle eines Dammbruchs die Millionenstadt Mossul von einer 20 Meter hohen Welle erfasst würde. Eine andere Studie warnt, dass bis zu einer halben Million Menschen durch die Fluten getötet werden könnten, mehr als eine Million würden obdachlos. Die unkontrollierten Wasser des Tigris würden durch Baiji, Tikrit und Samarra stürzen und sogar Bagdad in Mitleidenschaft ziehen. Ein grauenhaftes Szenario.

Noch liegt der 400 Quadratkilometer große Stausee idyllisch eingebettet in der Nineva-Tiefebene. Von den Hügeln der kurdischen Stadt Dohuk ist er gut zu erkennen. Kurze Zeit war der Weg auf die andere Seite versperrt. IS-Terroristen lieferten sich über Monate hinweg einen erbitterten Kampf mit der kurdischen Peschmerga. Die Kurden gewannen und sichern seitdem den Damm und die umliegenden Gebiete.

Doch die erforderliche Wartung der Staumauer war dadurch unterbrochen worden. Hohlräume entstanden. Die Hydraulik ist defekt, ein Tor funktioniert nicht mehr. Die Verantwortlichen im Wasserministerium in Bagdad haben nun verfügt, das andere Tor zu öffnen und Wasser abzulassen, um den Druck auf den Damm zu mindern. Durch die heftigen Regenfälle in den letzten Wochen ist der Wasserpegel bedrohlich angestiegen. Die Schneeschmelze aus den kurdischen Bergen, die jetzt einsetzt, wird abermals zu einer Bewährungsprobe für das marode Mauerwerk.

Schon seit seiner Fertigstellung Mitte der 80er Jahre stellt das Bauwerk ein Risiko dar. Auf Gipsboden errichtet, löst es sich bei Kontakt mit Wasser auf. Von Anfang an musste der erodierende Grund, auf dem die Staumauer steht, daher regelmäßig mit einem besonderen Betongemisch befestigt werden. Das deutsch-italienische Baukonsortium machte Saddam Hussein schon damals auf die Gefahren aufmerksam. Doch das Prestigeprojekt sollte nicht in das Gestein kurdischer Berge gebaut werden. Auf die gegen den Diktator rebellierenden Kurden sei kein Verlass, so lautete damals die Begründung für den zweifelhaften Standort.

Unterdessen spielen irakische Behörden die Gefahr herunter, die vom Damm ausgeht. "Die Amerikaner übertreiben", heißt es in Bagdad. Das Risiko eines Dammbruchs habe sich in jüngster Zeit nicht erhöht. Wer jeden Tag durch Terror um sein Leben fürchten muss, nimmt andere Dinge eben gelassener. Hinzu kommt, dass das Thema schon während der amerikanischen Besatzungszeit eine Rolle spielte. Bereits 2007 machten Mitglieder der US-Administration auf den bedenklichen Zustand des Staudamms aufmerksam. Erste Studien wurden erstellt, Expertisen angefragt.

Noch vor dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak Ende 2011 unterschrieben das Bagdader Wasserministerium und eine Spezialfirma aus Oberbayern eine Übereinkunft zur Reparatur und teilweisen Erneuerung des Mossul-Damms. Damals war der Ölpreis hoch, und die Regierung hatte genug Geld, um das Projekt zu bezahlen. Doch die grassierende Korruption in den staatlichen irakischen Institutionen behinderte die Ausführung, zumal deutsche Firmen Gerichtsverfahren in Deutschland befürchten müssen, wenn sie Schmiergelder zahlen, was im Irak zum guten Ton gehört. Als die Amerikaner den Irak verließen, blieb die Baustelle Mossul-Damm, wie viele andere auch, unerledigt.

"Ich habe es geschafft", jubelt Shirouk Abayachi am Telefon, nachdem das Parlament in Bagdad der Reparatur nun doch zugestimmt hat. Die Abgeordnete, die lange Jahre in Wien lebte, dort Bauingenieurin geworden war, bevor sie 2004 in den Irak zurückkehrte, verfasste einen langen Bericht zum Zustand des Mossul-Damms und überzeugte schließlich ihre Kollegen, Druck auf die Regierung und den Wasserminister auszuüben, damit der Dammbruch doch noch verhindert werden kann.

In Zeiten knapper Kassen und drastischer finanzieller Einschnitte hatte die Wienerin und Vorsitzende des Umweltausschusses in der irakischen Volksvertretung kein leichtes Spiel. Die Zusage der Weltbank, 200 Millionen Dollar für die Reparatur beizusteuern, half ihr dabei. Anfang März wurde ein Vertrag mit einer italienischen Firma unterschrieben. Die Bauarbeiten sollen umgehend beginnen und 18 Monate dauern. "Nun kann es endlich losgehen", sagt Abayachi erleichtert.

(RP)
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