Amsterdam Referendum macht Regierung der Niederlande ratlos

Amsterdam · Die Wähler haben dem EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine eine Absage erteilt.

Als am Mittwochabend im niederländischen Fernsehen die ersten Hochrechnungen verkündet wurden, bestand noch Hoffnung im Lager der EU-Befürworter. 29 Prozent Wahlbeteiligung waren angegeben. Damit wäre das Referendum über das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ungültig gewesen. Die 61 Prozent, die dagegen gestimmt hatten, wären lediglich ein Ausrutscher gewesen. Zwei Stunden später war das Ergebnis deutlich: nicht 29, sondern 32 Prozent Wahlbeteiligung. Das Referendum damit gültig, das Dilemma perfekt.

Premier Mark Rutte trat vor die Kameras und beglückwünschte die Initiatoren der Nein-Kampagne. Man müsse nun etwas mit diesem Referendum tun, sagte er, aber Schritt für Schritt vorgehen. "Wir sind es unseren Wählern schuldig." Schritt für Schritt, etwas - Rutte verschafft sich vorsichtshalber schon mal Zeit, denn er und seine Regierung wissen selbst nicht, wie sie nun mit dem Referendum umgehen sollen. Es könne Wochen dauern, bis Klarheit herrsche, sagte er. Vielleicht dauert die Entscheidungsfindung sogar länger als bis zum 30. Juni. Bis dahin hat das Land die EU-Ratspräsidentschaft inne.

Über das Abstimmungsergebnis dürfte sich neben den EU-Skeptikern nun vor allem Russland freuen. Seit 2013 befindet sich die Ukraine mit ihrem einst wichtigsten Handelspartner im Dauer-Streit. Dabei hätte das wirtschaftlich gebeutelte Bürgerkriegsland europäische Unterstützung nötig, um sich endgültig aus den Fängen einer korrupten Oligarchie zu befreien.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sagte gestern, die Ukraine werde die Zusammenarbeit mit der EU ausbauen und wies darauf hin, dass es lediglich ein "ratgebendes Referendum" gewesen sei. Gleiches betonte ein Sprecher der EU-Kommission. Doch da liegt das Problem: Der Ausgang des Referendums ist für die niederländische Regierung zwar nicht bindend, trotzdem wollen die meisten Parteien das Ergebnis respektieren und entsprechend handeln. Ruttes Behördengänge sehen nun wie folgt aus: Gespräche mit dem Kabinett sowie der Zweiten Kammer, dann der Weg nach Brüssel. Dort wird man gespannt sein, wie die Niederländer mit der Situation umgehen wollen. Viele Möglichkeiten gibt es nicht.

Ein zentrales Argument der Nein-Kampagne ist die Befürchtung, der Assoziierungsvertrag mit der Ukraine sei ein getarntes EU-Mitgliedsverfahren. "Die Ukraine ist das korrupteste Land Europas", sagte etwa Jan Roos, TV-Journalist und Aushängeschild der Initiative "Geenpeil", die das Referendum im vergangenen Jahr mit erzwungen hatte. Solch ein Land dürfe nicht Mitglied der EU werden. Dabei ist dies überhaupt nicht vorgesehen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte schon Anfang März, "die Ukraine wird mit Sicherheit in den nächsten 20 bis 25 Jahren kein Mitglied der EU werden können". Gleiches gelte für einen Beitritt des osteuropäischen Landes zur Nato.

Experten mutmaßen nun, es könne eine Option sein, ein leicht abgeändertes Assoziierungsabkommen aufzusetzen, in dem explizit erwähnt wird, dass die Ukraine vorläufig kein EU-Mitglied werden kann. Jede Änderung im Vertragswerk muss jedoch wieder von allen Mitgliedstaaten durchgewunken werden. Vorstellbar ist auch, die politischen Teile des Abkommens nicht für die Niederlande gelten zu lassen. Eine solche Ausnahme könnte Rutte beim EU-Ministerrat erbitten. Die Frage ist nur, inwiefern die Niederlande das gutheißen wollen; beinhalten diese Passagen doch auch Maßnahmen wie eine gemeinsame Terrorbekämpfung.

Die dritte Option ist gleichzeitig die radikalste: Die Niederlande verhandeln den Vertrag mit der Ukraine neu. Die anderen 27 EU-Mitgliedstaaten, die das Abkommen bereits ratifiziert haben, werden dem aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zustimmen. Zudem wird das gesamte Vertragswerk bereits vorläufig angewandt. Die Niederlande würden sich damit in der EU noch unbeliebter machen, als sie es mit dem Referendum ohnehin schon getan haben. Genau das beabsichtigt aber die Nein-Kampagne - und macht daraus nicht mal ein Geheimnis: "Die Ukraine ist uns egal", sagte Arjan van Dixhoor, Vorsitzender des Bürgerkomitees, der zweiten großen Nein-Initiative, im Interview mit dem "NRC Handelsblad". Rechtspopulist Geert Wilders twitterte triumphierend: "Das ist der Anfang vom Ende der EU."

Die Entscheidung der Niederländer nährt nun die Sorge, EU-Skeptiker könnten auch vor dem Referendum über einen Austritt Großbritanniens aus der EU Aufwind bekommen. Die Abstimmung ist für den 23. Juni vorgesehen.

(jaco)
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