Berlin/Göttingen Rechtsextremismus ist ein großes Problem in Ostdeutschland

Berlin/Göttingen · "Belastetes Staatsverständnis" und "verfehlte Erinnerungs- und Sozialpolitik" gehören laut einer neuen Studie zu den Gründen.

Angriffe auf Flüchtlinge, fremdenfeindliche Demos - dieses Bild haben viele von Ostdeutschland. Eine neue Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung im Auftrag der Bundesregierung zeigt: Rechtsextremismus ist dort ein Problem.

Für die Studie haben die Forscher rund 40 Interviews mit Vertretern aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft verarbeitet sowie eine Vielzahl von Dokumenten analysiert. Untersucht wurden die Regionen Dresden, Freital und Heidenau sowie Erfurt. Dabei beobachteten die Wissenschaftler nicht nur ein Ost-West-Gefälle im Hinblick auf rechtsextreme Gesinnungen: Es gibt zugleich deutliche Unterschiede zwischen strukturschwachen und besser gestellten Regionen, zwischen Zentren und der Peripherie.

Diese generelle Problematik könne laut Studie aber befördert werden durch regionale Faktoren, die in Ostdeutschland stärker ausgeprägt seien als im Westen. Die Autoren sprechen von einem "Ursachenbündel" in Bezug auf die Situation speziell im Osten: Der schwierige Transformationsprozess nach dem Mauerfall für viele Ostdeutsche, das lange Nachwirken des abgeschotteten Lebens in der DDR, das Leben in zwei aufeinanderfolgenden Diktaturen, eine paradoxe Haltung zum Staat mit hohen Erwartungen und gleichzeitiger Ferne - "diese Melange gibt es in ganz Ostdeutschland", sagt Verfasser Michael Lühmann.

Auch heute sei eine romantische Verklärung der DDR anzutreffen, die die "Leerstellen der Unzufriedenheit auffüllt". 20, 25 Jahre lang sei versäumt worden, darüber zu reden - in der Hoffnung, dass sich mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem massenhaften Wegbrechen von Arbeitsplätzen im Osten die Probleme von allein lösen würden, so der Wissenschaftler.

Die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), betont, dass die Mehrheit der Ostdeutschen nicht rechtsextrem sei - leider sei es aber zu oft eine schweigende Mehrheit. Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus seien eine ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland. "Die Ursachen müssen schonungslos und ohne Tabus aufgedeckt und offengelegt werden", so Gleicke.

Die Ursachen liegen laut den Autoren der Studie auch in der Politik, insbesondere in Sachsen: Wer hier Probleme mit rechten Einstellungen benenne, werde als Nestbeschmutzer angesehen. Die Dominanz der CDU in dem Freistaat sei für die Entwicklung der sächsischen Zivilgesellschaft und die Akzeptanz des Interessenpluralismus eher von Nachteil gewesen, heißt es. Es gebe ein großes Misstrauen der sächsischen Union gegenüber der zivilgesellschaftlichen Szene. Darauf sei sicherlich zurückzuführen, dass die Landesregierung das Problem Rechtsextremismus lange Zeit unterschätzt und Aufklärungs- und Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus eher behindert als gefördert habe. Gar nicht selten seien die Kirchengemeinden mit ihren wenigen Gläubigen die einzigen Akteure, die sich Rechtsextremismus entgegenstellen würden, heißt es.

(RP)
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