Ankara Putsch nach dem Putsch
Ankara · Ein Umsturzversuch des türkischen Militärs ist blutig gescheitert. Präsident Recep Tayyip Erdogan setzt nun zur Rache an - Tausende werden verhaftet. International wächst die Sorge, dass sich die Türkei zur Diktatur entwickelt.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nutzt den gescheiterten Putschversuch, um hart gegen seine politischen Gegner vorzugehen. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, bis gestern seien rund 6000 Soldaten und Richter festgenommen worden. 2700 Richter wurden abgesetzt. Erdogan kündigte an, "Viren" aus Armee und Staatsapparat zu beseitigen. "Denn dieser Körper, meine Brüder, hat Metastasen produziert. Leider haben sie wie ein Krebsvirus den ganzen Staat befallen", rief Erdogan vor jubelnden Anhängern in Istanbul. Bereits am Samstag hatte er gesagt: "Dieser Aufstand ist für uns eine Gabe Gottes, denn er liefert uns den Grund, unsere Armee zu säubern." Der Präsident macht die Anhänger des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Gülen streitet das ab. Erdogan sagte, die Türkei werde seine Auslieferung beantragen.
Am späten Freitagabend hatten Teile der Armee einen Umsturzversuch gestartet. Die Putschisten wollten nach eigenen Angaben Demokratie und Menschenrechte sowie die verfassungsmäßige Ordnung in der zunehmend autoritär regierten Türkei wiederherstellen. Sie besetzten unter anderem den internationalen Flughafen von Istanbul und verschiedene Fernsehsender. Kampfflugzeuge und Hubschrauber hoben ab, Brücken wurden blockiert, Panzer fuhren auf.
Der Putsch scheiterte, weil wichtige Offiziere loyal blieben. Zudem stellten sich Zehntausende Anhänger Erdogans den Putschisten in den Weg. Mindestens 290 Menschen starben; mehr als 1400 wurden verletzt. Am Istanbuler Flughafen Sabiha Gökcen leisteten noch gestern vereinzelte Putschisten Widerstand.
Am Wochenende gingen im ganzen Land bis zu vier Millionen Menschen auf die Straße, um ihre Unterstützung für Erdogan zu demonstrieren. In Ankara schmähte die Menge die Putschisten mit dem Ruf: "Hängt sie auf! Hängt sie auf!" In der Türkei wird über die Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Todesstrafe diskutiert. Ministerpräsident Binali Yildirim deutete einen solchen Schritt an. Erdogan kündigte Beratungen mit der Opposition an.
Acht türkische Soldaten setzten sich am Samstag per Hubschrauber nach Griechenland ab. Die Regierung bezeichnet sie als Putschisten und verlangt ihre Auslieferung; die Männer behaupten, nichts vom Putsch gewusst zu haben, sondern für Krankentransporte zuständig gewesen zu sein. Dabei seien sie unter Beschuss geraten und geflohen.
Der Putschversuch betrifft auch deutsche Soldaten. Auf dem Stützpunkt Incirlik im Süden des Landes sind 240 deutsche Soldaten stationiert. Die Bundeswehr beteiligt sich von dort mit Flugzeugen am Kampf gegen die Terrormiliz IS. Der Kommandeur der Basis, General Bekir Ercan, wurde nach Angaben aus türkischen Regierungskreisen wegen mutmaßlicher Unterstützung des Umsturzversuchs festgenommen.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kündigte an, die Bundeswehr werde heute ihren "normalen Flugbetrieb" wiederaufnehmen. In Incirlik sei schnell wieder Ruhe eingekehrt. Außer einem Stromausfall und Flugbewegungen auf der türkischen Seite der Luftwaffenbasis hätten die Unruhen der Nacht keine Auswirkungen gehabt, betonte die Ministerin. Die Türkei brauche "starke, aber auch voll demokratisch kontrollierte Streitkräfte".
International wurde der Putschversuch verurteilt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, Deutschland sei auf der Seite derer, die für Demokratie einstehen. Über einen Regierungswechsel könne nur das Volk bestimmen. Den Versuch, den gewählten Präsidenten zu entmachten, verurteile sie "auf das Schärfste". Zugleich müsse sich im Umgang mit den Verantwortlichen "der Rechtsstaat beweisen".
Auch der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger ermahnte in der "Welt am Sonntag" die türkische Regierung. Wenn Erdogan nun versuche, die Grundrechte weiter zu beschneiden, entferne er sich von den Werten der EU und der Nato. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, warnte Erdogan vor einer Politik der Rache. Er habe die Sorge, sagte Sofuoglu im Deutschlandfunk, dass nun viele Oppositionelle festgenommen würden, die mit dem Putsch nichts zu tun hätten.
Fluggesellschaften und Reiseveranstalter kehrten gestern weitgehend zur Normalität zurück. In den Touristenorten am Mittelmeer entschlossen sich nach Angaben der Unternehmen nur wenige Urlauber, nach Deutschland zurückzureisen.