Islamabad Pakistan will "Ehrenmorde" endlich ächten

Islamabad · Die 26-jährige Qandeel Baloch war ein Star. Ihr Tod könnte den Weg für schärfere Gesetze freimachen.

Für viele ihrer Landsleute war Qandeel Baloch eine wandelnde Provokation: Mit Schmollmund räkelte sie sich in Videos lasziv auf dem Bett, sorgte im Internet mit freizügigen Kleidern und frechen Postings für Wirbel und schrieb herausfordernd: "Ja, ich weiß, ich bin verdammt heiß." Sie nannte sich selbst eine "moderne Feministin". Am Ende bezahlte sie mit dem Leben. Ihr Bruder ermordete die 26-jährige. Er schäme sich nicht für die Tat, gab Waseem Azeem später stolz zu Protokoll.

Der "Ehrenmord" an dem Internet-Sternchen sorgte Ende Juli über Pakistan hinaus für Entsetzen. Nun könnte ihr Tod die Regierung endlich zum Handeln zwingen. Bereits im Januar hatte Premierminister Nawaz Sharif schärfere Gesetze versprochen. Doch die Novelle liegt seit Monaten auf Eis. Nach dem Tod von Qandeel kündigte Sharifs Tochter Maryam an, das Gesetz solle nun binnen Wochen das Parlament passieren. Eine Reform ist dringend vonnöten. In Pakistan häufen sich "Ehrenmorde". Wurden 2013 noch 869 und 2014 knapp 1000 Frauen Opfer, wurden 2015 schon fast 1100 Frauen im "Namen der Ehre" getötet, berichtet Pakistans Menschenrechtskommission. Viele "Ehrenmorde" gehen zudem gar nicht in die Statistik ein, weil sie als Suizid oder Unglück getarnt werden. Die Täter sind meist Brüder, Ehemänner, Väter. "Es gibt keinen Tag, an dem man die Zeitung aufschlägt und keine Frau getötet wurde", sagt die Filmemacherin Sharmeen Obad-Chinoy.

"Qandeels Tod könnte zum Wendepunkt werden", hofft die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Qandeel, die eigentlich Fauzia Azeem hieß, war mehr als eine narzisstische Sex-Ikone, die sich gekonnt selbst vermarktete. Sie war auch eine Rebellin, die gegen Rollenzwänge aufbegehrte und die konservativen Normen ihrer Heimat herausforderte. Qandeel war mit 17 Jahren verheiratet worden, bekam einen Sohn, ließ sich scheiden und baute sich selbst zum Internet-Star auf.

In einer Gesellschaft, die Frauen als Eigentum von Männern betrachtet, nahm sie sich das Recht heraus, selbst über sich, ihren Körper und ihre Sexualität zu bestimmen. Selbst für westliche Verhältnisse waren ihre Kleider aufreizend, für Pakistan waren sie skandalös. Sie ließ sich im Schwimmbad und im Fitnesscenter ablichten. In einem Video reibt sie - mit tiefem Ausschnitt und in einem Rock so kurz, dass der Slip blitzt - in einer Art Miley-Cyrus-Parodie ihren Po an einem Mann. Selbst Geistliche waren vor ihrem Spott nicht sicher. So postete sie provozierende Selfies mit dem Mufti Abdul Qawi und behauptete, sie habe mit dem Mufti im Fastenmonat Ramadan Cola getrunken und geraucht.

Auf Facebook hatte sie, bevor ihre Seite gelöscht wurde, über 770.000 Fans. Angeblich lebte die ganze Familie, insgesamt zwölf Leute, von ihrem Einkommen - also auch ihr Mörder. Bis heute gehen Täter bei "Ehrenmorden" meist straffrei aus. So erlaubt Pakistans Recht, dass die Familie des Opfers den Mörder begnadigt. Dies wird bei "Ehrenmorden" häufig praktiziert, da meist die ganze Familie hinter dem Mord steht. In anderen Fällen zahlen die Täter Blutgeld, und die Familie des Opfers vergibt ihm.

Diese Schlupflöcher soll die Gesetzesnovelle schließen. Danach sollen Familien die Täter nicht länger begnadigen dürfen. Aber die Änderungen stoßen auf Widerstand. Zwar verurteilen auch Pakistans Geistliche "Ehrenmorde", viele lehnen aber die Novelle als Verwestlichung ab. Nun bleibt abzuwarten, ob Pakistans Regierung den Mut besitzt, das Gesetz durchzusetzen. Qandeels Eltern zumindest scheinen nicht gewillt, ihrem Sohn zu vergeben. "Meine Tochter war mutig, und ich werde ihren brutalen Mord weder vergessen noch vergeben", sagt ihr Vater. Sein Sohn, der Täter, "sollte erschossen werden".

(RP)
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