Wien Kanzlerpartei buht Kanzler aus

Wien · Bei Österreichs Sozialdemokraten liegen die Nerven blank. Partei- und Regierungschef Werner Faymann wackelt.

Österreich: SPÖ buht eigenen Kanzler Werner Faymann aus
Foto: AP

Größer hätte die Demütigung nicht sein können, die gestern bei der Maifeier auf dem Wiener Rathausplatz Bundeskanzler Werner Faymann erfuhr: Als er in seiner Funktion als Chef der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) ans Rednerpult trat, hob ein ohrenbetäubendes Buh- und Pfeifkonzert an. Hunderte Genossen hielten ihm rote Schilder mit der Aufschrift "Rücktritt" entgegen. Die Faymann-Anhänger gab es auch - sie hielten Schildchen mit ermunternden Botschaften ("Werner, der Kurs stimmt"), konnten sich aber genauso wenig Gehör verschaffen wie Faymann selbst. Er versuchte, mithilfe der Lautsprecher den Lärm zu übertönen, kapitulierte aber nach fünf Minuten: Faymann hielt die kürzeste Mai-Rede der Parteigeschichte.

Seit SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer im ersten Durchgang der Bundespräsidentenwahl am 24. April eine krachende Niederlage erlitten hat und nicht einmal in die Stichwahl gekommen ist, findet die SPÖ nicht zur Ruhe. Der schwelende Konflikt über Faymanns Führungsschwäche ist jetzt offen ausgebrochen: Er hat in den acht Jahren, die er der SPÖ vorsteht, keine einzige Wahl gewonnen, und die Genossen wollen die Frage nach dem Warum nicht mehr nur in den Gremien erörtern. Alt-Genossen und Jungsozialisten gleichermaßen fordern nun eine drastische Kurskorrektur - "sowohl inhaltlich als auch personell", schallt es dem Parteichef entgegen. Die SPÖ, die seit 2007 mit der konservativen ÖVP koaliert, müsse wieder zu sozialdemokratischen Werten zurückkehren.

Faymann wird namentlich der Schwenk in der Flüchtlingspolitik übelgenommen - vom anfänglichen Gleichklang mit der Willkommenskultur seiner deutschen Kollegin Angela Merkel hin zu einer ausländerfeindlichen Abschottungspolitik, wie sie auch die rechte FPÖ vertritt. Auch in der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik fühlen sich immer mehr Österreicher von der SPÖ im Stich gelassen und laufen in Scharen zu frn Rechten über, die zwar auch keine Lösungen bieten, aber geschickt die Fehler der Regierung ausschlachten. "Wir sind längst die neue Arbeiterpartei", tönte Parteichef Heinz-Christian Strache gestern in Linz.

SPÖ-Landeschefs wie der Burgenländer Hans Niessl und Erich Foglar, Chef des mächtigen Gewerkschaftsbundes, stellen sich offen gegen Faymann und fordern eine Kursänderung im Umgang mit der FPÖ. Die 35 Prozent Österreicher, die im ersten Durchgang den FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer gewählt haben, könne "man nicht als rechtsextrem bezeichnen", sagte Foglar und verlangte, "eine Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ nicht mehr auszuschließen".

Beobachter sehen darin eine Kampfansage gegen Faymann. Anderseits stützt der seine Kanzlerschaft auch auf den mächtigen Wiener Bürgermeister Michael Häupl, der in seiner Mai-Ansprache klarmachte: "Es gibt unzählige Gründe gegen eine Regierungszusammenarbeit mit dieser Freiheitlichen Partei." Häupls Appell, auf "vordergründige Personaldebatten" zu verzichten, klang allerdings nur wie eine solidarische Pflichtübung. Der angeschlagene Kanzler kündigte für die nächsten Tage eine "Strategiediskussion" an. Er hofft, so die Führungsdebatte bis zum Parteikongress im Spätherbst aussitzen zu können.

(RP)
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