Wien Österreich muss neu wählen

Wien · Der Verfassungsgerichtshof in Wien hat die Stichrunde der Bundespräsidentenwahl annulliert. Fast 78.000 Briefwahlstimmen waren falsch ausgezählt worden. Im Herbst treten die beiden Kandidaten erneut an.

Mit einem spektakulären juristischen Erfolg haben sich die Rechtspopulisten in Österreich eine zweite Chance auf das Präsidentenamt erkämpft. Der Verfassungsgerichtshof hob in einem bisher einmaligen Vorgang die Stichwahl vom 22. Mai wegen formaler Fehler auf. Damit kommt es zu einem erneuten Duell zwischen dem von den Grünen unterstützten Alexander Van der Bellen (72) und dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer (45). Die Amtsgeschäfte von Bundespräsident Heinz Fischer, der am 8. Juli ausscheidet, übernimmt bis dahin das Präsidium des Parlaments, des Nationalrats. Zu diesem dreiköpfigen Gremium zählt auch Hofer.

Er war nach der Auszählung der Briefwahlstimmen Van der Bellen nur um 31.000 Stimmen unterlegen. Es war das knappste Wahlergebnis in der Geschichte des Landes. Die FPÖ hatte das Ergebnis angefochten und Unregelmäßigkeiten in 94 der 117 Wahlbezirke moniert.

Es ist kein Fall bekannt, in dem eine landesweite Wahl in einem EU-Mitgliedstaat wegen Unregelmäßigkeiten wiederholt werden musste. Entscheidend für die Aufhebung der Stichwahl war die ungesetzmäßige Auszählung von fast 78.000 Briefwahlstimmen. In 14 Wahlbezirken wurden die Wahlkarten außerhalb einer Sitzung der Bezirkswahlbehörde geöffnet. Außerdem waren in einigen Fällen unbefugte Personen bei der Auszählung tätig. So habe es die Möglichkeit einer Manipulation gegeben, auch wenn diese nicht nachgewiesen wurde, sagte Gerichtspräsident Gerhart Holzinger. Juristisch reicht das für eine Wahlwiederholung aus.

Es sei eindeutig, dass die Wahlgesetze rigoros angewendet werden müssten, betonte Holzinger. Die Entscheidung habe allein das Ziel, das Vertrauen in Rechtsstaat und Demokratie zu stärken, und mache "niemanden zum Verlierer und niemanden zum Gewinner". Bei der Auszählung sei es zwar nicht zu Betrug gekommen, aber die Fehler seien Grund genug für eine Neuauflage: "Unjuristisch ausgedrückt bedeutet das: Die Stichwahl muss in ganz Österreich zur Gänze wiederholt werden." Zuvor hatte der Gerichtshof 67 Zeugen angehört.

Die Richter rügten auch, dass die Behörden Teilergebnisse an Medien und Forschungsinstitute vorzeitig weitergaben. Das ist seit Jahrzehnten Usus in Österreich. Neue Medien könnten diese Informationen aber schnell im ganzen Land verbreiten und damit das Ergebnis beeinflussen, befand das Gericht.

Es wird damit gerechnet, dass die Neuwahl im September oder Oktober stattfindet. Hofer zeigte sich erleichtert: "Ich bin froh, dass der Verfassungsgerichtshof eine sehr schwierige Entscheidung objektiv getroffen hat." FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sieht die Wiederholung als einen Gewinn für den Rechtsstaat. Das Urteil sei ein "heilsamer Schock". Innenminister Wolfgang Sobotka will nun mit Außenminister Sebastian Kurz dafür sorgen, dass in den Bezirken, die Fehler gemacht hatten, Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa eingesetzt werden.

Van der Bellen gab sich optimistisch. "Wenn ich es einmal geschafft habe, kann ich es auch ein zweites Mal schaffen", sagte er: "Wir werden wieder eine breite Bürgerbewegung auf die Beine stellen."

(RP)
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