Gesellschaftskunde Noch immer zählt der feine Unterschied

Auch Billigprodukte gibt es heute in edlem Design, guter Geschmack scheint keine Frage der Klasse mehr zu sein. Doch das ist ein Kurzschluss, der nur eines soll: Leute zum Kaufen animieren.

Auf schlechten Geschmack ist auch kein Verlass mehr. Schnellrestaurants zum Beispiel sind inzwischen keine neonausgeleuchteten Plastikburgen im Frittendunst mehr. Da gibt es jetzt die Café-Ecke mit schwarzen Lederhockern, tiefhängenden Wohnzimmerlampen, Schaumkaffee. Auch in Wohnungen trifft man kaum noch auf Eiche rustikal und Häkeldeckchen. Alle kaufen jetzt Sideboards mit glatter Front, ziehen in die uniformen Neubauten mit bodentiefen Fenstern, tippen auf schlichte, flache Handys. Die Kleinbürgerlichkeit ist ausgestorben, der Schnörkel weggebrochen, Bauhaus regiert.

Wir leben in Zeiten des Distinktionsverlusts. Seinen sozialen Status zu markieren, wird immer schwieriger, seit jeder Geländewagen leasen kann, die Bahn Platzkarten für die erste Klasse zu Schnäppchenpreisen auf den Markt wirft und Supermärkte ihre Billigprodukte auf edel trimmen lassen.

Nun kann man die Popularisierung des modernen Designs als Triumph der Demokratie feiern, als Teilhabe immer breiterer Schichten an gehobener Ausstattung und Sinn für Dezenz. Nur im Modus der Retro-Begeisterung dürfen heute ja noch Mustertapeten an die Wände und Hirschgeweihe aufs Sofakissen. Kitsch ist ironisch geworden.

Doch die angebliche Demokratisierung des Geschmacks ist nur eine Nivellierung, die neue Märkte schafft. Man muss den Leuten nur einreden, was seit Jahren in ihren Wohnungen steht, sei peinlich und müsse durch schlichtere Produkte ersetzt werden. Das wirkt, das schafft Konsumdruck, denn es verheißt, dass jeder mit ein paar Shopping-Feldzügen an die Oberschicht anschließen kann.

Schon der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat uns aber gelehrt, dass es die feinen Unterschiede sind, die Klassen markieren. Auf edel getrimmt ist noch nicht edel. Das Selbstbewusstsein, mit dem jemand einen 5000-Euro-Kaffeeautomaten bestellt, zeichnet die Klasse aus. Nicht der Automat. Naiv also, vom entschlackten Durchschnittsgeschmack auf die Auflösung der Klassengesellschaft zu schließen.

Wir leben in einem System, das den Konsumenten braucht. Darum verheißt uns die Werbung, dass durch elegante Produkte sozialer Status zu kaufen sei. In Wahrheit ist das soziale System in Deutschland so undurchlässig wie früher, entscheidet Herkunft über Chancen. Dagegen hilft nicht schickes Design, sondern Aufklärung für alle. Vielleicht entwickeln sich dann andere Träume als die vom Aufstieg in die nächste Fahrzeugklasse.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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