Persönlich Neil MacGregor . . . erklärt die Deutschen

Der Kunsthistoriker Neil MacGregor wird im neuen Jahr ein Amt bekleiden, das es erstens noch nie gab und das zweitens wahrscheinlich zu den öffentlichkeitswirksamsten Jobs in Deutschland zählt. Denn der 69-jährige Brite wird als erster Direktor des Berliner Humboldt-Forums - das unter dem Nachbau des Berliner Schlosses zum Leben erweckt werden soll - ein nationales Geschichtsprojekt kuratieren, von dem noch niemand so genau weiß, was es sein wird. Der Ruf MacGregors als einer der erfolgreichsten und innovativsten Ausstellungsmacher in Europa lässt ziemlich viel erwarten - und seine diversen Bekundungen an verschiedenen Orten der Welt erst recht.

Jetzt war er in New York und hat dort bei einer Buchpräsentation erklärt, dass vor allem die Erfahrung der Flucht ins kollektive Bewusstsein der Deutschen eingegangen ist und als traumatisches Erlebnis wirkt. Zuletzt war das nach seinen Worten der Verlust der sogenannten Ostgebiete nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Erfahrungen von Grenzen und Grenzverschiebungen sind für ihn ein roter Faden deutscher Geschichte: Sie begründen die Identität Deutschlands und machen die Nation zugleich anfällig für Krisen.

MacGregor ist aber nicht nur ein Analytiker, er ist auch ein großer Vermittler. So hat er in seinem Bestseller die Welt in 100 Objekten beschrieben. Und auch jetzt hat er ein deutsches Symbol ausfindig gemacht: im altersschwachen Bollerwagen, mit dem viele Ostpreußen und Schlesier ihre Flucht gen Westen antreten mussten. Dieses Trauma, das für ihn in Merkels Hilfsbereitschaft seine Fortsetzung findet, scheint ihn mit Deutschland zu verbinden. Ein Land, das seine Geschichte nicht zur nationalen Selbstbestätigung einsetzt, sondern darüber nachdenkt, wie man sich gegenwärtig und künftig verhalten sollte.

Neil MacGregor erklärt uns Geschichte - auch unsere Geschichte.

(RP)
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