Hamburg/Berlin Politik nimmt linke Täter ins Visier

Hamburg/Berlin · Die beispiellose Eskalation der Gewalt bei den Protesten gegen den G 20-Gipfel in Hamburg hat für Abscheu und Entsetzen in Deutschland gesorgt. Politiker der großen Koalition in Berlin fordern eine Extremistendatei auch für linke Gewalttäter.

G20 in Hamburg: Dritte Krawallnacht im Hamburger Schanzenviertel
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Dritte Krawallnacht im Hamburger Schanzenviertel

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Foto: dpa, dbo

Nach dem Ende des G 20-Gipfels haben in Hamburg die Aufräumarbeiten begonnen. Tausende Hamburger zogen gestern gemeinsam mit Mitarbeitern der Stadtreinigung durch das Schanzenviertel, um Müll, Steine und Scherben aufzusammeln. Die Krawalle waren bis zum frühen Sonntagmorgen weitergegangen. In der Nacht zum Samstag war es zu Plünderungen von Geschäften im Hamburger Schanzenviertel gekommen. Um die Polizeikräfte nicht zu gefährden, habe man auf den Einsatz des Sondereinsatzkommandos warten müssen, berichtete Einsatzleiter Hartmut Dudde.

Zugleich haben die schweren Ausschreitungen eine Debatte über die sicherheitspolitischen Konsequenzen ausgelöst. Mehrere Innenexperten der großen Koalition halten die Einrichtung einer Extremistendatei für Gewaltbereite aus dem linken Spektrum für zwingend. Eine solche Datei gibt es bisher nur für Rechtsextremisten und im Bereich der Terrorabwehr. "Ich halte eine europäische Extremistendatei für Linksradikale für sehr sinnvoll", sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), unserer Redaktion.

Allerdings entbrannte zwischen CDU und SPD ein Streit über eine mögliche Bagatellisierung linksextremer Gewalttäter. So verwahrte sich SPD-Generalsekretär Hubertus Heil gegen die Kritik von CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn, der der SPD die Verharmlosung linker Gewalt vorgeworfen hatte. Von CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte Heil, ihn zur Ordnung zu rufen. Unionsfraktionschef Volker Kauder verurteilte die Kritik aus den Reihen der Grünen und der Linkspartei an dem Polizeieinsatz.

Die Zerstörungen wurden auch von Teilen der linken Szene Hamburgs kritisiert: Es sei eine "rote Linie" überschritten worden, erklärte Andreas Blechschmidt, Sprecher des autonomen Zentrums "Rote Flora". Szene-Anwalt Andreas Beuth dagegen zeigte "gewisse Sympathien" für solche Aktionen - "aber doch bitte nicht im eigenen Viertel, wo wir wohnen".

Der Landesgeschäftsführer der NRW-Linken, Sascha Wagner, hatte der Polizei von Anfang an die Verantwortung für die Eskalation zugewiesen. Die "vermummten Chaoten", von denen vielerorts die Rede gewesen sei, hätten allerdings mehrheitlich Uniformen getragen, schrieb Wagner nach der ersten Gewaltwelle. Der unter Druck geratene Erste Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz (SPD), sprach dagegen von einem "heldenhaften" Einsatz. Die von ihm versprochene Sicherheitsgarantie für die Bevölkerung habe er allerdings nicht einlösen können. Die Polizei in Hamburg hat nach Darstellung von Innensenator Andy Grote nicht mit derartiger Brutalität gerechnet. Man habe es mit "skrupellosen Gewaltakten von Kriminellen" zu tun gehabt, die man nicht vorhergesehen habe, sagte der SPD-Politiker.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verteidigte die Auswahl Hamburgs als G 20-Standort: Ihn sorge, "dass allzu viele den scheinbar leichten Ausweg gehen wollen und sagen: Warum müssen denn solche Konferenzen eigentlich in Deutschland stattfinden?" Damit stellte sich der frühere SPD-Außenminister mitten im Wahlkampf gegen SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Diese hatten sich an die Spitze jener Kritiker gesetzt, die gegen die Ausrichtung teurer Welt-Gipfel in großen Städten sind.

Dem widersprach Steinmeier vehement: "Wenn ein demokratisch gefestigtes Land wie Deutschland sich nicht mehr in der Lage sieht, internationale Gäste einzuladen, Konferenzen wie diese auszurichten, dann gerät mehr in Gefahr als nur eine einzelne Konferenz. Dann überlassen wir im Grunde genommen die Entscheidung und die Auswahl, was hier in Deutschland stattfindet, einigen wenigen brutalen Gewalttätern."

Kanzlerin Angela Merkel hatte die Krawalle bereits nach dem Ende des Gipfels am Samstag verurteilt: "Blindwütige Gewalt kann nicht geduldet werden." Merkel versprach den Opfern schnellstmögliche Hilfe und Entschädigung. Nach Ansicht des SPD-Haushaltspolitikers Johannes Kahrs muss klar sein, dass nicht Hamburg die Kosten trage, sondern die Bundesrepublik. "Wie wir die Hilfsgelder finanzieren, müssen wir noch beraten. Hamburg könnte die Kosten erst vorstrecken und dann erstattet bekommen. Das wäre ein unbürokratischer Weg", sagte der Hamburger Bundestagsabgeordnete unserer Redaktion.

(RP)
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