Persönlich Mourad Laachraoui . . . will in Rio den Bruder vergessen

Dass man sich die Familie nicht aussuchen kann, ist eine Binsenweisheit. Sie wird vor allem dann hervorgekramt, wenn auf zähen Familienfeiern der Onkel peinlich zu schwadronieren beginnt. Mourad Laachraoui wäre froh, wenn sein Bruder einfach nur dummes Zeug erzählt hätte. Wenn er sich daneben benommen hätte, und er verschämt, aber mit einer Portion Humor, hätte sagen können: Die Familie kann man sich nicht aussuchen. Aber Najim, der vier Jahre ältere Bruder von Mourad, war ein Massenmörder, ein Monster. Am 22. März hat er am Brüsseler Flughafen eine Kofferbombe gezündet und Dutzende Menschen mit in den Tod gerissen. Er war ein seelenloser Terrorist.

Seither muss sich Mourad Laachraoui rechtfertigen und verteidigen, gegen Vorurteile, und dagegen, in Sippenhaft genommen zu werden. Der 21-Jährige fährt für sein Land, für Belgien, zu den Olympischen Spielen nach Rio. Er ist im Team der Taekwondo-Nationalmannschaft - vor allem als Sparringspartner. Er selbst kann nämlich vermutlich nicht um Medaillen kämpfen: Mourads Gewichtsklasse ist nicht olympisch. Aber er wird trotzdem die belgische Flagge auf dem Ärmel tragen. Die Flagge des Landes, dem sein Bruder so viel Schmerz zugefügt hat. Auch für die Anschläge in Paris im November 2015 hat sein Bruder Najim mindestens zwei Bomben gebaut.

Mourad studiert an der Haute École in Brüssel Elektromechanik. Ein fleißiger Mann, der sich bei 1,80 Meter auf 54 Kilogramm runter hungert, um in der Gewichtsklasse kämpfen zu dürfen. Kürzlich ist er Europameister geworden und als die Nationalhymne lief, schloss er die Augen. Die Nachricht, dass sein eigener Bruder ein Terrorist und Mörder war, konnte er für einen kurzen Augenblick des Glücks vergessen. Dem "Spiegel" hat er gesagt: "Man hat uns geraten, unseren Nachnamen zu ändern. Aber das ist auch keine Lösung. Es ist mein Name, der Name meines Vaters."

Henning Rasche

(RP)
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