Molenbeek Europas Hauptstadt der Dschihadisten

Molenbeek · Die Pariser Anschläge wurden in der Brüsseler Teilgemeinde Molenbeek geplant - wie andere zuvor. Die Bewohner sind entsetzt, doch war die Radikalisierung mancher Jugendlicher bekannt.

Der Brüsseler Problem-Stadtteil Molenbeek
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Der Brüsseler Problem-Stadtteil Molenbeek

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Foto: afp, ed/nb

Zumindest der Jurastudent Karim hat seinen Humor nicht verloren. "Endlich bekommt Molenbeek die internationale Aufmerksamkeit, die es verdient hat", sagt der 23-Jährige, um dann in schallendes Gelächter auszubrechen. Es ist ja auch kurios, dass die Brüsseler Gemeinde plötzlich von Kamerateams aus aller Welt belagert wird.

In der Boulangerie Douaoui in der Chaussée de Merchtem liegen neben Croissants und Baguettes auch Zeitungen aus. Die Antwort darauf, warum der Brüsseler Stadtteil an diesem Tag im Mittelpunkt des Weltinteresses steht, prangt in großen Lettern auf der Titelseite: "Molenbeek au cœur des attentats", was so viel bedeutet wie: Molenbeek steht im Zentrum der Ermittlungen nach den Attentaten. 132 Menschen starben bei der bisher schlimmsten Terrorserie in Frankreich.

Eine Reihe von Verhaftungen hat es am Wochenende gegeben. Per internationalem Haftbefehl zur Fahndung ausgeschrieben worden ist Salah Abdeslam, der in Molenbeek wohnt und von der Staatsanwaltschaft als einer der Pariser Attentäter identifiziert worden ist. Der ebenfalls von hier stammende und nun in Syrien für die Terrormiliz des Islamischen Staats kämpfende Abdelhamid Abaaoud soll Drahtzieher der Schreckenstaten sein. "Die Anschläge wurden im Ausland geplant", hat der französische Innenminister Bernard Cazeneuve am Vorabend gesagt, "in Belgien."

Köpfe des Terrors: Das sind die Attentäter von Paris
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Foto: dpa, bjw

Er hat natürlich Molenbeek gemeint, jene der 19 Gemeinden der Hauptstadtregion Brüssel, in der es noch multikultureller zugeht als im Rest der Stadt ohnehin schon. Die Metzgereien bieten fast nur "halal" an, also nur Dinge, die nach islamischem Recht erlaubt sind. In Call Shops lässt sich günstig in die Heimatländer telefonieren, Royal Air Maroc unterhält eine eigene Filiale, da besonders viele Marokkaner hier leben. 24 Moscheen zählt der 100.000-Einwohner-Ort.

"In drei der Moscheen ist der radikale Salafismus stark vertreten", erzählt Johan Leman, der nicht nur Molenbeeks Jugendzentrum Foyer leitet, sondern als Professor an der Uni Leuven gleichzeitig die Radikalisierung Jugendlicher erforscht: "Wer jemanden für die islamistische Sache rekrutieren will, macht das dort." Die Perspektivlosigkeit vieler Jungen bilde den Nährboden, auf dem die Saat der Hassprediger aufgehe. 2006, so erinnert sich Leman, habe er zum ersten Mal den Besuch eines radikalen Imam aus Pakistan wahrgenommen, einige Jahre später habe sich einer seiner Jugendlichen der Al-Shabaab-Miliz in Somalia angeschlossen: "Das hat etwas Sektenartiges und passiert sehr schnell, ohne jede Vorwarnung." Die Radikalisierung geschieht Molenbeeks Bürgermeisterin François Schepmans zufolge an "geheimen Kultorten", in die ihre Gemeinde im Gegensatz zu den Moscheen keinen Einblick habe. Die unterbesetzte Polizei, die Leman zufolge kaum eine Bindung zum Ort hat, gilt als hoffnungslos überfordert.

Razzia in Brüssel: Anti-Terror-Einsatz in Molenbeek
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Anti-Terror-Einsatz in Brüssel

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Foto: afp, nb

Innenminister Jan Jambon hat angekündigt, er werde in Molenbeek aufräumen. Der flämische Politiker hat auch den mehr als ernsten Anlass für einen Seitenhieb auf die in der Polizeiarbeit eigenständige Region Brüssel genutzt. In Antwerpen und Vilvoorde, zwei weiteren Hochburgen des Dschihadismus im flämischen Teil Belgiens, das auf die Einwohnerzahl gerechnet die meisten Gotteskrieger aus Europa exportiert, habe man die Lage doch auch in den Griff bekommen - nur eben in Brüssel nicht. Das ständige Sirenengeheul scheint dafür zu stehen, dass Jambons Föderalregierung nun ernst macht.

Die Rue Delaunoy ist abgesperrt. Die Polizei hat das Haus mit der Nummer 47 umstellt, sie vermutet den mutmaßlichen Paris-Attentäter Salah Abdeslam darin, der am Freitagabend an der französisch-belgischen Grenze kontrolliert, aber nicht festgenommen wurde. Auf den Dächern der umliegenden Häuser lauern Scharfschützen. Zwei Detonationen sind zu hören. Salah Abdeslam sei mit Tränengasgranaten außer Gefecht gesetzt worden, heißt es zuerst. Am Nachmittag jedoch gibt die Brüsseler Staatsanwaltschaft bekannt, dass es bei der neuerlichen Razzia nicht zu einer Festnahme gekommen ist.

Vor dem Absperrband der Polizei hat sich eine Menschentraube gebildet. Unter einigen der jungen Männer ist die Stimmung gegenüber den Journalisten aggressiv. Einer der Jungen herrscht einen Journalisten an: "Glauben Sie das etwa? Das sind doch alles Lügen." Er will nichts davon wissen, dass die Polizei nach dem tödlichen Attentat auf das Jüdische Museum von Brüssel im Mai 2014 sowie nach den vereitelten Anschlägen im ostbelgischen Verviers und auf den Thalys-Schnellzug in Richtung Paris Verbindungen nach Molenbeek gefunden hat.

Belgien: Großeinsatz nach Terror in Paris
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Foto: afp, sd

Die Mehrheit der Umstehenden jedoch erzählt bereitwillig von ihrem Viertel. Von Großzügigkeit und Zusammenhalt angesichts der überproportional hohen Arbeitslosigkeit. Von mehr Gemeinschaft als in den anderen Stadtvierteln, wo jene Ausländer, die wegen der EU in Brüssel wohnen, einen viel individuelleren Lebensstil pflegten. Wenn es überhaupt eine Theorie gibt, warum ausgerechnet dies die europäische Hauptstadt des Dschihadismus sein soll, dann hat sie mit dieser Offenheit zu tun. "Molenbeek ist ein guter Ort, um sich zu verstecken", sagt der Sozialarbeiter Leman.

(RP)
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