Nachruf Michel Rocard ... hat Politiker geärgert und geprägt

Bei seinen letzten Auftritten in der Öffentlichkeit waren seine Wangen schrecklich eingefallen, die Krankheit hatte Michel Rocard schon schwer gezeichnet. Aber seine Angriffslust war ungebrochen. Der "intellektuelle Mörder des Sozialismus", so klagte er vor wenigen Monaten in einem Interview an, "er heißt François Mitterrand!" Bis zum letzten Atemzug arbeitete sich Rocard an Frankreichs 1996 verstorbenen Präsidenten ab, seinem ewigen Rivalen, dem er dennoch von 1988 bis 1991 als Premierminister gedient hatte. Am Samstagnachmittag starb Rocard im Alter von 85 Jahren in einem Pariser Krankenhaus.

Seither überschlägt sich Frankreichs politische Klasse mit Elogen auf den Sozialisten. Rocard verkörpere einen "Sozialismus, der Utopie und Modernität miteinander versöhnte", würdigte ihn Präsident François Hollande.

Doch das posthume Lob, insbesondere aus dem linken Lager, kann nicht kaschieren, dass Rocard zwar respektiert, aber zugleich fast völlig isoliert war. Viele Genossen haben ihm seine ätzende Kritik nie verziehen. Als "archaischste Linke der Welt" hatte Rocard die französischen Sozialisten mit ihren klassenkämpferischen Reflexen bezeichnet. Er selbst setzte sich für eine pragmatische, wirtschaftsfreundliche Politik ein. Sein sozialdemokratisch geprägter Kurs wurde in Frankreich bald als "Rocardisme" bezeichnet und von der Parteilinken erbittert bekämpft.

1974 war Rocard der Sozialistischen Partei (PS) beigetreten, 1988 wurde er von Mitterrand als Nachfolger des konservativen Regierungschefs Jacques Chirac berufen. Im Mai 1991 trat Rocard zurück, weil er im Parlament kaum noch Mehrheiten fand. Überraschend gelang es dem entschiedenen Proeuropäer 1993, die PS-Führung zu erobern. Doch schon 1994 trat er zurück, weil er die Flügelkämpfe nicht überwinden konnte. 1995 wurde Rocard in den Senat gewählt. Er war zweimal verheiratet und hinterlässt vier Kinder.

(RP)
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