Berlin Merkel und Gabriel läuten den Wahlkampf ein

Berlin · In Sommerinterviews im Fernsehen gehen Kanzlerin und Vizekanzler auf Distanz zueinander. Die Flüchtlingspolitik steht im Fokus.

Berlin: Merkel und Gabriel läuten den Wahlkampf ein
Foto: Fotos: dpa, Montage: RP

Angela Merkel (CDU) trägt ein schwarzes Sakko und steht vor der Kulisse des Reichstags Rede und Antwort. Sie wirkt konzentriert und besonnen.

Sigmar Gabriel (SPD) verzichtet auf eine Krawatte zum gewohnt dunklen Anzug, sitzt im Schatten einer historischen Jagdscheune. Er gibt sich angriffslustig, wirkt dennoch souverän.

So unterschiedlich sie auch auftreten - die grundlegende Botschaft der Kanzlerin und des Vizekanzlers in den Sommerinterviews von ARD und ZDF ist deckungsgleich. Zum Beispiel: Wir sind nach drei Jahren großer Koalition bereit für den Wahlkampf.

Und so konnten die Bundesbürger gestern Abend im Ersten zunächst altvertraute Sätze der Kanzlerin hören. Ihren Ausruf "Wir schaffen das" verteidigte Merkel einmal mehr. Sie habe diese Worte gesagt "in Anbetracht einer erkennbaren großen Aufgabe" und gehe weiter mit der Motivation heran "wir schaffen das". Wo etwas im Wege stehe, da müsse es überwunden werden. Sie räumte aber ein, dass dabei zwar vieles erreicht worden sei, manches aber noch zu tun bleibe. In den vergangenen Monaten sei sehr viel Geld in die Hand genommen worden, die Politik habe zudem viel getan, um die Sicherheit in Deutschland zu verbessern.

Doch die Flüchtlingspolitik gerät zunehmend zur Achillesferse Angela Merkels. 50 Prozent der Deutschen lehnen mittlerweile eine vierte Amtszeit Merkels ab. Die Bundestagswahl, so scheint es nun, dürfte zur Abstimmung über den Kurs bei Einwanderung und Integration werden. Innere Sicherheit, Steuerpolitik, Renten - all das wird eine entscheidende Rolle spielen. So fordert Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) Steuerentlastungen von 15 Milliarden Euro, Merkel wollte sich indes nicht festlegen. Jetzt gehe es zunächst darum, einen ausgeglichenen Haushalt zu schaffen und keine neuen Schulden auf Kosten der zukünftigen Generation aufzunehmen, so die Kanzlerin. Auch Gabriel nannte im Interview, das im ZDF gestern fast im Anschluss an das ARD-Gespräch mit der Kanzlerin ausgestrahlt wurde, keine konkreten Zahlen. Er kündigte an, die Sozialabgaben für niedrige Einkommen senken zu wollen.

Aber nichts bewegt das Land seit Monaten so sehr wie der Umgang mit den Landesgrenzen und den hierher Geflohenen. Das weiß auch Gabriel. Er geht zum ersten Mal deutlich auf Distanz zu Merkel. Es reiche nicht, ständig zu sagen "wir schaffen das", kritisierte Gabriel. Er habe zusammen mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier (ebenfalls SPD) früh darauf hingewiesen, dass Deutschland auf Kontingente setzen sollte. Hier habe die SPD sich jedoch nicht durchsetzen können. Und dann sagte der Sozialdemokrat etwas Erstaunliches: Eine Obergrenze sei notwendig. Sie müsse da liegen, wo die Integrationsfähigkeit eines Landes erreicht sei. So gebe es jetzt 300.000 Schüler mehr, für die 25.000 Lehrer gebraucht würden. "Das kann man nicht jedes Jahr wiederholen", sagte Gabriel.

Sicher, von begrenzten Aufnahmekapazitäten Deutschlands hatte er tatsächlich schon vor Monaten gesprochen. Dass Gabriel aber ohne Not ausgerechnet das Wort "Obergrenze" bemüht, ist ein deutliches Signal an die Kanzlerin und die Sozialdemokraten. Die CSU fordert Obergrenzen zur Aufnahme von Flüchtlingen schon lange, die Kanzlerin lehnt sie mit dem Satz "das Asylrecht kennt keine Obergrenzen" stoisch ab.

Während aber davon auszugehen ist, dass sich Merkel am Ende auf gemeinsame Positionen mit der CSU in der Flüchtlingspolitik für die Wahlprogramme der Union einigen wird, muss die SPD erst noch ihren Kurs finden. Und der wird, so scheint es nach dem Aufschlag Gabriels, genau zwischen Merkel und CSU-Chef Seehofer liegen.

Dabei läuft es bisher zwar darauf hinaus, dass Merkel und Gabriel jeweils als Spitzenkandidaten ins Rennen um das Kanzleramt gehen werden. Angekündigt hat die eigene Kandidatur aber noch keiner von beiden. Merkel sagte im ARD-Interview lediglich, sie werde "zum gegebenen Zeitpunkt" entscheiden. Dies betreffe sowohl ihre erneute Kandidatur als CDU-Vorsitzende auf dem Parteitag im Dezember in Essen wie auch eine Kanzlerkandidatur bei der Bundestagswahl 2017. Sie habe sich bislang auch noch nicht geäußert, wann sie ihre Entscheidung mitteilen wolle, betonte Merkel.

Und das befeuert Spekulationen. So berichtet der "Spiegel", Merkel wolle ihre Entscheidung für eine erneute Kandidatur erst im Frühjahr 2017 bekannt geben. Grund dafür sei, dass CSU-Chef Horst Seehofer erst dann entscheide, ob seine Partei Merkel wieder unterstütze, berichtet das Magazin unter Berufung auf CDU-Kreise. Die Partei tat das als reine Spekulation ab. Und bei der SPD? Auch dort herrscht weiter Unklarheit. Gabriel sagte zur Kanzlerfrage im ZDF: "Nachdem Frau Merkel erklärt hat, sie will's erst 2017 sagen, warum sollen wir eigentlich vorher entscheiden?"

(jd)
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