Brexit Merkel kündigt Reformen für die EU an

Berlin · Berlin, Paris und Rom verabreden "neue Impulse" für die EU. Um den Brexit bahnt sich handfester Streit mit Briten an.

 Francois Hollande, Angela Merkel und Matteo Renzi treffen sich in Berlin, um über Reformen zu beraten.

Francois Hollande, Angela Merkel und Matteo Renzi treffen sich in Berlin, um über Reformen zu beraten.

Foto: dpa, nie wst

Vor dem heutigen Europäischen Rat zur Umsetzung des Brexits in Brüssel haben sich Deutschland, Frankreich und Italien auf Reformen der EU geeinigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte nach einem Treffen in Berlin mit dem französischen Präsidenten François Hollande und Italiens Regierungschef Matteo Renzi "neue Impulse für die Arbeit der Europäischen Union" an. Sie nannte die Felder der inneren und äußeren Sicherheit, den Kampf gegen den Terror und den Schutz der europäischen Außengrenzen als Bereiche für eine engere Zusammenarbeit der Europäer. Zugleich kündigte sie mehr Initiativen für Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit an. Zudem wolle man mehr für die Jugend tun, die in Großbritannien mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt habe.

Hollande ergänzte, dass die Euro-Länder eine "fiskalische Harmonisierung" anstrebten. "Da werden wir eine Priorität setzen", sagte Hollande. Diese Äußerung ist ein Hinweis darauf, dass die Euro-Länder stärker als Kern Europas zusammenrücken wollen. Renzi nannte einen Zeitraum von zehn Jahren, in denen das "europäische Projekt" vorangebracht werden solle. Eine Einigung über die Reform soll nach den Worten Merkels bis März 2017 erreicht sein. Dann werden die Römischen Verträge, die Grundlage der Gemeinschaft sind, 60 Jahre alt.

Zugleich bahnt sich zwischen der EU und Großbritannien ein handfester Streit um den Austritt der Briten an. Der scheidende britische Premier David Cameron erklärte am Montag vor dem britischen Parlament, Großbritannien wolle offizielle Austrittsverhandlungen mit der EU erst aufnehmen, wenn eine Entscheidung über die Art der künftigen Beziehung zur Gemeinschaft getroffen sei. Die EU will das Gegenteil. Merkel betonte am Abend, es werde "keine informellen oder formellen" Gespräche geben, bevor nicht der Antrag auf Austritt der Briten eingegangen sei. Zum Zeitplan des Brexits erklärte sie: "Wir wünschen uns, dass es keine Hängepartie gibt."

Schon im Laufe des Tages hatten etliche europäische Politiker den Druck auf die Briten erhöht, möglichst rasch ihren Austritt zu vollziehen. "Europa kann alles machen, außer jetzt eine einjährige Diskussion über die Prozeduren zu beginnen", hatte Renzi in Rom erklärt, bevor er nach Berlin flog. Die Entscheidung der Briten laste "wie ein Felsblock auf der Geschichte Europas", meinte Renzi.

Wann die Briten tatsächlich ihren Austritt aus der EU einleiten, liegt in ihren Händen. Der Artikel 50 des EU-Vertrags sieht keine Handhabe vor, wenn eine Regierung zwar über einen Austritt hat abstimmen lassen, diesen aber nicht sofort einleitet. Die britische Regierung setzte erneut das Signal, dass erst ein neuer Premierminister die Austrittsverhandlungen mit der EU beginnen werde. Das wäre nicht vor Oktober der Fall.

Der Vize-Präsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, sieht die Ausstiegsprozedur pragmatisch: "Wann die Verhandlungen über den Brexit beginnen, ist weniger wichtig, als dass sie bis zum Mai 2019 abgeschlossen sein müssen", sagte Lambsdorff unserer Redaktion. Im Mai 2019 finde die nächste Europawahl statt, und an der könne Großbritannien "natürlich nicht mehr" teilnehmen. "Deswegen brauchen wir jetzt einen verlässlichen Fahrplan, denn Politik und Wirtschaft brauchen Planungssicherheit."

Schon bei dem heute in Brüssel beginnenden EU-Gipfel wird es voraussichtlich Diskussionen um die britische Ratspräsidentschaft geben. Turnusgemäß ginge diese vom 1. Juli bis Ende Dezember 2017 an die Briten. In Brüssel wächst die Gruppe derer, die den Briten diese Verantwortung nicht mehr überlassen wollen.

Die deutsche Wirtschaft appellierte an die Politiker in Großbritannien und in der EU, die Fronten jetzt nicht zu verhärten und gemeinsam rasche Austrittsverhandlungen zu beginnen. "Es geht darum, Brücken zu bauen — wobei immer klar sein muss, dass es in dem wie auch immer gearteten neuen Verhältnis mit der EU keine Rosinenpickerei für Großbritannien geben darf", sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer unserer Redaktion. "Die Politik ist gefordert, neue Formen der Zusammenarbeit mit Großbritannien zu entwickeln."

Zu diesem Thema positionierte sich auch der Brexit-Kampagnen-Chef Boris Johnson, der als möglicher Nachfolger Camerons gehandelt wird, in einem Gastbeitrag für den "Daily Telegraph". Es werde weiter freien Handel und Zugang zum Binnenmarkt geben. Zugleich lehnt er Freizügigkeit für Arbeitnehmer ab. Gegen diese Haltung gibt es heftigen Widerstand in Brüssel, auch bei den EU-Parlamentariern. "In den Verhandlungen kommt es darauf an, keinen Millimeter von unseren Binnenmarktregeln abzuweichen. Wer Zugang zum Markt haben will, muss auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit mittragen", sagte Sven Giegold, EU-Abgeordneter der Grünen.

(jd/mar/qua)
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