London May enttäuscht mit Brexit-Rede

London · Lange hatte die EU darauf warten müssen, wie sich Großbritannien die Beziehung nach dem Brexit vorstellt. In ihrer Grundsatzrede vermied Premierministerin May nun jedoch eine klare Positionierung.

Die Eiswinde und Schneestürme, die Großbritannien zurzeit heimsuchen, machten ihr einen Strich durch die Rechnung. Premierministerin Theresa May wollte ihre Grundsatzrede zum Brexit zuerst im nordenglischen Newcastle halten, zog dann aber das prächtige Mansion House in London vor als Schauplatz für ihren Versuch, den "Weg zum Brexit" zu erläutern, wie der Titel ihrer Rede lautete. Der Zufall wollte es, dass vor dem Mansion House gerade gebaut wird, und ein Schild verkündete: "Straße gesperrt".

Lange hatten die Verhandlungspartner in der EU darauf warten müssen, wie sich das Königreich die künftige Beziehung vorstellt. Von Mays Rede erhoffte man sich Details und eine klare Ansage. Ihre Ambitionen für einen Freihandelsvertrag mit der EU sind zweifellos groß. Sie wolle, sagte May, "das breiteste und tiefste Abkommen, das möglich ist und das mehr Sektoren umfasst und stärker kooperiert als irgendein Freihandelsabkommen in der ganzen Welt". Solch eine ökonomische Partnerschaft sei machbar, "weil sie sowohl im Interesse der EU als auch wie in unserem liegt und weil wir von einem einzigartigen Startpunkt anfangen, wo wir am Tag eins die gleichen Gesetze und Regeln haben".

Allerdings will und wird, machte May klar, Großbritannien dereinst ausscheren und ein "separates rechtliches System" ansteuern, soll heißen: sich von den Regeln, Vorgaben und Standards der EU lösen. Sie verfolgt einen sogenannten Drei-Körbe-Ansatz, wonach es eine sehr enge, lose oder gar keine Anbindung an Brüssel je nach Wirtschaftssektor geben soll. May will eine partielle Divergenz: In Bereichen wie Landwirtschaft, Fischerei oder Finanzwirtschaft möchte man von den europäischen Vorgaben abweichen können, während man in anderen Sektoren, wie bei der Automobilbranche oder dem Datenaustausch, auf Linie bleibt. Sie strebt eine künftige Handelsbeziehung an, die nicht auf eine Zollunion hinausläuft, sondern auf ein Freihandelsabkommen, einschließlich eines Zoll-Arrangements, das für das Königreich maßgeschneidert werden müsste.

Die Premierministerin führte zudem fünf Tests ein, die ein künftiger Deal mit der EU bestehen müsse. Dazu gehöre, dass er das Referendumresultat respektiert, indem man die Kontrolle "über Großbritanniens Grenzen, Gesetze und Geld" zurückgewinne. Der Deal müsse dauerhaft sein, sich positiv auf Jobs und Sicherheit auswirken und Großbritannien als eine "moderne, weltoffene und tolerante Demokratie" stärken. Schließlich solle er die Staatengemeinschaft, gemeint war der Nationenbund von England, Schottland, Wales und Nordirland, festigen. Diese fünf Tests sind weniger an die europäischen Verhandlungspartner adressiert als vielmehr eine innenpolitische Vorgabe: Sie sollen den Briten den künftigen Endzustand skizzieren und zeigen, wie sich May ein Post-Brexit-Britannien vorstellt. Die Pro-Europäer im Land dürften erfreut über den Job-Test sein, weil "den Wohlstand erhalten" zu einer engeren Anbindung an Europa führen soll.

Und Nordirland? Die Notwendigkeit, eine harte Grenze zwischen der Provinz und der Republik Irland zu vermeiden, war bisher einer der großen Stolpersteine der Brexit-Verhandlungen. Denn wie soll eine unsichtbare Grenze zusammengehen mit dem Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion, wie ihn May ja ausdrücklich will? Gestern hatte die Premierministerin dazu nicht viel zu sagen, sie verwies auf die Vorschläge vom Sommer, in denen Großbritannien eine technologische Lösung andachte, und appellierte ansonsten, gemeinsam eine Lösung zu finden.

Der Grünen-Europachef Reinhard Bütikofer äußerte sich enttäuscht über Mays Brexit-Rede. "Das ist wieder so eine typische Rede nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass", sagte Bütikofer der Deutschen Presse-Agentur. May habe sich mit Blick auf die künftigen Handelsbeziehungen gegen die Modelle bereits vorhandener Abkommen gestellt, so etwa das Freihandelsabkommen mit Kanada oder auch eine Mitgliedschaft im Binnenmarkt wie Norwegen.

(RP)
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