Berlin Lange Nacht der Integration

Berlin · Zufrieden darüber, dass ein Koalitionsausschuss mehr als nur Zank brachte, präsentierten die Spitzen von Union und SPD ihren Regierungs-Fahrplan bis zur Sommerpause.

Berlin: Lange Nacht der Integration
Foto: dpa, nie fdt

Die große Koalition wollte demonstrieren, dass sie noch Kraft hat. Dafür saßen die Spitzen von Union und SPD in der Nacht zu Donnerstag knapp sieben Stunden bei Grillfleisch und grünen Bohnen im Kanzleramt beisammen. "Arbeitsintensiv" sei es gewesen, sagt eine Teilnehmerin hinterher. "Überraschend konstruktiv" nach den Wochen des öffentlichen Streits fand es ein anderer Teilnehmer.

Anderntags bei der öffentlichen Vorstellung der Ergebnisse wirken die Parteichefs und die Fachminister hundemüde. Kanzlerin Merkel trägt die Ergebnisse der Nacht in aller Eile vor und lobt die anwesenden drei Minister Andrea Nahles, Heiko Maas (beide SPD) und Thomas de Maizière (CDU) für ihre Vorarbeit zum Integrationskompromiss. Alle drei Minister sitzen zwar neben den drei Parteichefs auf dem Podium, bleiben während der Pressekonferenz aber stumm.

Nur SPD-Chef Sigmar Gabriel, noch sonnengebräunt vom Osterurlaub in Spanien, wirkt fit. "Das war ein guter Abend, die Politik hat auf wichtigen Feldern Handlungsfähigkeit gezeigt", meint er. Dann redet er etwa doppelt so lang wie die Kanzlerin und klingt, als habe der Wahlkampf schon begonnen. Er sagt, was er gerne sagt, dass die Politik anständig und fair sein müsse. Gabriel hat an diesem Tag durchaus Grund zur guten Laune: Die in Umfragen so geschwächten Sozialdemokraten setzten sich in der Nacht im Kanzleramt in einigen wichtigen Punkten durch.

Die wichtigsten Ergebnisse des Spitzentreffens: Union und SPD legten ein sechsseitiges Papier zur Integration von Flüchtlingen und ein dreiseitiges Papier für den Kampf gegen den Terror vor. Die Einigung über die beiden Papiere nahmen die überwiegende Zeit der nächtlichen Sitzung ein. Beide Seiten waren zunächst mit ihren eigenen Papieren angerückt. Zwar formulierten Union und SPD ihren Beschluss sehr viel genauer als damals beim Asylpaket, um das es dann viel Streit gab. Offene Punkte bleiben dennoch: So ist die Pflicht für Flüchtlinge, bei angebotenen Integrationsmaßnahmen mitzuarbeiten, nur als "Prüfpunkt" festgehalten. Sanktionsmöglichkeiten gegen Flüchtlinge, die sich nicht integrieren wollen, gelten in der Union aber als essenziell für ein Integrationsgesetz. Die SPD hingegen konnte sich sehr zufrieden über den Kompromiss zeigen. "Wir haben für die Migranten viel erreicht und für die Gesellschaft viel gewonnen", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel, der das Integrationsgesetz als "ersten Schritt" auf dem Weg zu einem Einwanderungsgesetz wertete.

Den Sozialdemokraten gönnte die Union auch noch den Stich, dass das Reformgesetz zu Leiharbeit und Werkverträgen von Arbeitsministerin Nahles nach langem Tauziehen nun in die Ressortabstimmung geht. CSU-Chef Horst Seehofer rang Nahles aber das Versprechen ab, dass sie im Gesetzgebungsverfahren zu weiteren Kompromissen bereit sein müsse. Am Ende soll erneut ein Koalitionsausschuss über das umstrittene Gesetz befinden.

Keine Einigung gab es über die Reform der Erbschaftssteuer, obwohl die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist im Juni ausläuft. Bei dem Thema liegen CSU und SPD über Kreuz. Der Konflikt wurde vertagt - auch weil es aus der SPD zuletzt unterschiedliche Signale gab, ob man bereit ist, den eigentlich gefundenen Kompromiss noch einmal aufzuschnüren. Gabriel erklärte in der nächtlichen Sitzung, er wolle in seine Partei noch einmal hineinhören. Die Kanzlerin gab schlicht die Devise aus: "Einigt euch". Nun sollen CSU und SPD erneut einen Kompromiss ausloten.

Vertagt wurde auch die strittige Frage zur Förderung der Elektromobilität. In dieser Frage sind sich SPD und CSU einig: Sie wünschen Kaufanreize für Elektroautos. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) aber steht auf der Bremse. "Wir werden im April Entscheidungen treffen zur Förderung der Elektromobilität", kündigte Merkel an.

Richtig in Fahrt kam der sehr blass aussehende bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) beim Thema Rente. In der nächtlichen Sitzung spielte das Thema nur kurz eine Rolle - Union und SPD verständigten sich darauf, mit Arbeitgebern und Gewerkschaften über eine Rentenreform zu reden. Bei allen drei Koalitionsparteien ist die Rente aber eher als Wahlkampfthema verbucht. Seehofer rühmte sich, derjenige zu sein, der schon die meisten Rentenreformen seit den 70er Jahren begleitet habe. Nahles, die in den 70er Jahren noch ein Kleinkind war, lächelte freundlich zu Seehofers Ausführungen.

Hinter den Kulissen aber brodelt es beim Thema Rente. Nahles will ein Konzept gegen Altersarmut frühestens im Herbst vorlegen, wenn sie die neuen Daten aus dem alle vier Jahre erscheinenden Alterssicherungsbericht kennt, der neben der gesetzlichen Rente auch andere Alterseinkünfte berücksichtigt. An eine große gemeinsame Rentenreform gegen Altersarmut glaubt unter den führenden Koalitionsspitzen allerdings niemand mehr. Das Thema wird nur für den Wahlkampf aufgepumpt.

(qua)
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