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Stuttgart · Im März wählt Baden-Württemberg. Winfried Kretschmann überstrahlt alle, aber klare Mehrheiten sind nicht in Sicht. Zeit für ein Experiment?

Winfried Kretschmanns Vater nannte seinen Sohn Winnetou. Ein roter Bruder wurde der Filius tatsächlich für eine Weile der persönlichen politischen Irrungen und Wirrungen. Der inzwischen 67 Jahre alte Ministerpräsident von Baden-Württemberg trat als Student und linksradikaler Achtundsechziger dem Kommunistischen Bund Westdeutschland bei.

Das war einmal. Nicht zu leugnen, oft schon bereut.

Heute sagt man dem ersten Ministerpräsidenten der Grünen nach, er sei ein Konservativer, je nach Blickwinkel: ein grüner Schwarzer oder ein schwarzer Grüner. Im Scherz sagte Kretschmann, der in seinem properen Bundesland alle Persönlichkeits-Umfragen vor der Wahl am 13. März 2016 souverän anführt, einmal, wenn je der unwahrscheinliche Fall einträte und sein Leben verfilmt würde, dann wolle er von Richard Gere verkörpert werden. Das spricht für eine ordentliche Portion Eitelkeit des bodenständigen, gewitzten Mannes vom schwäbischen Land bei Sigmaringen. Kretschmanns Ehefrau Gerlinde, mit der er seit Jahrzehnten verheiratet ist und drei erwachsene Kinder hat, würde sicher schmunzeln, ihren daheim und außer Haus oft knarzenden Winfried mit dem Faible fürs Heimwerken mit einem mysteriösen Hollywood-Beau in Verbindung gebracht zu sehen.

"Bleibe im Lande und nähre dich redlich" - diesem volkstümlich-altfränkischen Befehl gehorcht "Kretsch", wie seine Fans den Landesvater nennen, geografisch und geistig, seit er dem Ausflug ins Linksradikale ebenso radikal bürgerlich entsagt hat. In gut 80 Tagen, am 13. März, stellt er sich den Wählern in seinem Baden-Württemberg, das flächenmäßig minimal größer ist als Nordrhein-Westfalen, aber nur 10,6 Millionen Einwohner hat gegenüber den 18 Millionen in NRW, zur Wiederwahl.

Stünde er direkt zur Abstimmung, gäbe es wohl eine Art demokratische Krönung. Ein christdemokratischer Widersacher des Ministerpräsidenten stöhnte neulich auf: "Der überstrahlt hier alle, er ist sogar bei unseren Anhängern beliebter als Wolf." Guido Wolf, so heißt Kretschmanns Herausforderer von der CDU, kommt bei einer noch frischen Direktwahl-Umfrage von Infratest Dimap auf 14, Kretschmann dagegen auf 53 Prozent.

Das Kretschmann-Lager, das sich weit über die Sympathisanten der Südwest-Grünen ausdehnt, zitiert mit Wonne, dass unter CDU-Anhängern unglaublich erscheinende 72 Prozent der Befragten mit Kretschmann zufrieden oder sehr zufrieden sind; Wolf kommt bei der eigenen politischen Klientel nur auf eine Zustimmung von 41 Prozent. 43 Prozent der Unions-Freunde behaupten, Wolf nicht zu kennen oder ihn politisch nicht einschätzen zu können. Eine noch aktuellere Forsa-Umfrage vermittelt den Christdemokraten, die 2011 nach mehr als 50 Jahren Regierungszeit in die Opposition verwiesen worden waren, keine große Hoffnung. Im Gegenteil: Die Grünen im Südweststaat steigen von 25 Prozent auf 28 Prozent. Alle bezeichnen das als den Kretschmann-Effekt. Die CDU hingegen sinkt von 37 auf 35 Prozent.

So könnte am 13. März eintreten, was für die einst stolze und dominante Regierungspartei in Stuttgart einem Albtraum gleichkäme: Seite an Seite mit der im Trüben fischenden, rechtspopulistischen AfD zur Opposition gegen einen bürgerlich-konservativ-liberalen Ober-Grünen verurteilt zu werden.

Wolf würde am liebsten mit der FDP ein Regierungsbündnis schmieden und dem aus seiner Sicht grün-roten Spuk nach fünf Jahren ein Ende bereiten. Aber es sieht momentan danach aus, als könnten weder CDU und FDP noch Grüne und SPD eine Regierungsmehrheit bilden. Das liegt daran, dass die AfD mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich mehr als fünf Prozent Wählerstimmen bekommen wird; die Demoskopen sprechen von sieben bis acht. Das wiederum führt dazu, dass die FDP als mögliche Dritte im Regierungsbündnis mit Grünen und SPD ins Spiel gebracht wird. Ampel-Koalition lautet das Stichwort dazu.

FDP-Spitzenkandidat und Landtags-Fraktionschef Hans Ulrich Rülke legt sich derzeit nicht fest. Dem liberalen Landesvorsitzenden Michael Theurer werden - unbestätigt - heimliche Kontaktaufnahmen mit Kretschmann unterstellt. Im Land von Daimler und Porsche gilt plötzlich der alte Toyota-Slogan: Nichts ist unmöglich. Ein Südwest-Liberaler meinte zum Thema Ampel, das sei für die FDP verdammt sexy, auch Richtung Bundespartei signalisieren zu können, dass man in einem bedeutenden Bundesland wieder mitregiert, noch dazu mit einem derart populären Ministerpräsidenten.

Andere halten die "Ampel"-Spekulationen für von Grün-Rot gezielt gestreute Gerüchte, um die Liberalen bei deren konservativem Stammpublikum zwischen Lörrach und Heilbronn zu diskreditieren. Für die CDU käme aus heutiger Sicht eine Koalition mit der SPD in Betracht. Die Sozialdemokraten unter ihrem Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid sind als Juniorpartner in der Landesregierung auf keinen grünen Zweig gekommen; sie rangieren deutlich unterhalb der 20-Prozent-Marke.

Kretschmann, der schwarze Grüne beziehungsweise grüne Schwarze, hätte keine Probleme, noch einmal wie bereits 2006 Schwarz-Grün ins Kalkül zu ziehen. Er sagte dazu beziehungsreich, die Gespräche zwischen ihm und Günther Oettinger von der CDU seien 2006 nicht an ihm gescheitert. Auch in der CDU ahnt man jedoch, dass die Grünen mit Kretschmann kaum als Juniorpartner zu gewinnen sein werden. Stellvertreter unter einem Regierungschef Guido Wolf würde "Kretsch" nie und nimmer.

(mc)
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