Analyse Kurz will FPÖ zähmen

Wien · Nach tagelangem Zögern fordert Österreichs Bundeskanzler Kurz nun politische Konsequenzen aus dem jüngsten NS-Skandal. FPÖ-Chef Strache stimmt zu, die Parteigeschichte aufarbeiten zu lassen. Doch an eine ernsthafte Reform glaubt niemand.

Zunächst wollte Bundeskanzler Sebastian Kurz den jüngsten Skandal um ein Nazi-Liederbuch im Umfeld der mitregierenden Freiheitlichen Partei (FPÖ) allein mit dem Strafgesetzbuch aus der Welt schaffen. Er verwies darauf, dass "Österreich ein sehr gutes Verbotsgesetz gegen nationalsozialistische Wiederbetätigung" habe. Doch der erst 31-jährige Kanzler und Chef der konservativen ÖVP musste einsehen, dass Österreich international schweren Schaden erlitte, sollten keine politischen Konsequenzen gezogen werden. Mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Innenminister Herbert Kickl (ebenfalls FPÖ) einigte sich Kurz darauf, ein Verfahren über die Auflösung der Burschenschaft "Germania zu Wiener Neustadt" einzuleiten.

Einigen Medien war vorige Woche ein Nazi-Liederbuch dieses rechtsradikalen Vereins zugespielt worden, in dem NS-Verbrechen verherrlicht und Holocaust-Opfer verhöhnt werden. In einer Liedstrophe hieß es: "Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million." Mittlerweile laufen Ermittlungen gegen vier namentlich nicht genannte Personen. Dabei zeigte sich, dass andere Parteien, wenn auch nicht so stark wie in der FPÖ, für Nazi-Nostalgie anfällig sind: Der Illustrator des Liederbuchs wurde als Lokalpolitiker der Sozialdemokraten (SPÖ) in Wiener Neustadt entlarvt. Er wurde von der Partei umgehend ausgeschlossen.

Nicht ermittelt wird gegen Udo Landbauer, Straches Statthalter in Niederösterreich, der für den jüngsten NS-Skandal politisch verantwortlich ist. Der 31-Jährige ist mittlerweile von all seinen Funktionen zurückgetreten. Landbauer wollte nach der Regionalwahl vom vergangenen Sonntag in die niederösterreichische Landesregierung eintreten, was die dortige Ministerpräsidentin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) strikt ablehnte. "Mit Landbauer kann es keine Zusammenarbeit geben", sagte sie und wurde dabei von Kanzler Kurz demonstrativ unterstützt. Da blieb auch Strache nichts anderes übrig als sein Hoffnungstalent fallen zu lassen. Landbauer entschuldigte sich nicht, er sieht sich als Opfer einer "Medienhatz".

Wäre es allein das gewesen, hätte Strache keinen Anlass, der Auflösung der "Germania" zuzustimmen und obendrein eine Historikerkommission einzusetzen, welche die notorisch NS-lastige Parteigeschichte aufarbeiten soll. Dieser unerwartete Schritt geschieht nicht aus Überzeugung - immerhin sind seit Kriegsende fast 73 Jahre vergangen -, sondern aus taktischem Kalkül: Der 48-jährige Vizekanzler der schwarz-blauen Koalition hat mehr als zehn Jahre auf die Regierungstauglichkeit der FPÖ hingearbeitet, für ihn ist der Skandal eine Gelegenheit, sich als Staatsmann zu erweisen, für den er sich hält.

Doch die FPÖ von ihren Altlasten zu befreien, wird ein schier unmögliches Unterfangen. Denn Strache verlangt von seiner Partei nichts Geringeres, als dass sie ihre bisherige Identität, gleichsam ihre DNA, abstreift. Bis heute hat sich die FPÖ nicht eindeutig vom Nationalsozialismus und dessen Verbrechen distanziert, im Gegenteil: Sie hat dessen Untergang bei historischen Anlässen stets betrauert.

Die FPÖ ging Ende 1955 aus dem Verband der Unabhängigen (VdU), einem Sammellager von Altnazis, hervor. Ihr erster Parteichef war Anton Reinthaller, ein früherer SS-Brigadegeneral. Dessen langjähriger Nachfolger, Friedrich Peter, wurde vom legendären Nazi-Jäger Simon Wiesenthal als Ex-Obersturmführer einer SS-Mordbrigade in der Ukraine entlarvt, die systematisch Juden umbrachte. Als sich Jörg Haider 1986 an die Parteispitze putschte, ließ er sich widerspruchslos von seinen Anhängern mit "Sieg-Heil"-Rufen feiern. Haider unterband später die Nazi-Rülpser, um die FPÖ neuen Wählerschichten zu öffnen. Unter seinem Nachfolger Strache nahm der Einfluss der schlagenden Korporierten so stark wie nie zuvor wieder zu. Denn sie sind seine wichtigste Machtstütze.

Wie glaubwürdig ist also Straches Ankündigung, der FPÖ den Rechtsextremismus auszutreiben? Die Burschenschafter stellen 0,04 Prozent der Bevölkerung, aber dank der Neuauflage der schwarz-blauen Regierung sitzen sie jetzt an Hunderten Schaltstellen des Staates und sind überproportional im Parlament vertreten. Alle fünf FPÖ-Minister, einschließlich Vizekanzler Strache, haben Burschenschafter zu Büroleitern, Beratern und Experten gemacht, diese wiederum haben ihren eigenen Anhang mit allerlei Posten versorgt. Strache müsste, um glaubwürdig zu sein, all diese Leute wieder entlassen.

(RP)
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