Analyse Krebs ist oft kein Todesurteil mehr

Berlin · Ein neuer Bericht des Robert-Koch-Instituts weist nach, dass viele Menschen heute nach einer Krebsdiagnose länger leben als vor zehn Jahren. Der Bericht betont auch die Wichtigkeit von Vorbeugung und Früherkennung.

Krebs - diese Krankheit ist eine der gefährlichsten, mit denen der Mensch konfrontiert werden kann. Aber es mehren sich die Zeichen, dass das unheilschwangere Wort vom Todesurteil an umfassender und absoluter Gültigkeit verliert. Die Antworten der Medizin, die der Erstdiagnose folgen, werden immer besser und präziser, die Angebote etwa durch die Palliativmedizin immer wirksamer. So kommt auch die wahrhaft üble Formulierung aus dem Wörterbuch der Hoffnungslosigkeit, ein Krebspatient sei "austherapiert", immer seltener zur Anwendung.

Kämpfen gegen Krebs - das war über viele Jahre ein Mutmacher-Programm, geboren aus Verzweiflung und aus Zwangsoptimismus; viele Therapieformen konnten die Lebenserwartung eben doch nicht entscheidend steigern. Das lag häufig auch an der bitteren Tatsache, dass die Krankheit, weil der öffentliche und ärztliche Ansporn zu Vorsorge und Früherkennung fehlte, häufig zu spät festgestellt wurde; dann waren die medizinischen Optionen notgedrungen begrenzt.

Mehr und mehr aber zeigen sich erfreuliche Ergebnisse aus den verschiedenen Präventions- und Früherkennungsprogrammen. Jedenfalls sieht Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wirklich nennenswerte Fortschritte beim Kampf gegen Krebs in Deutschland. "Dank unserer guten Gesundheitsversorgung leben Menschen nach einer Krebsdiagnose heute deutlich länger als vor zehn Jahren", erklärte Gröhe gestern bei der Veröffentlichung des erstmals veröffentlichten "Berichts zum Krebsgeschehen in Deutschland" des Zentrums für Krebsregisterdaten (ZfKD) am Robert-Koch-Institut (RKI).

Die absoluten Zahlen behalten aber ihren Schrecken: Seit dem Jahr 1970 hat sich die Zahl der Krebs-Neuerkrankungen in Deutschland fast verdoppelt. Im Jahr 2013 wurde 482.500 Menschen erstmals die Diagnose einer Krebserkrankung gestellt. Aber die Gesellschaft ist auch älter geworden, und je länger der Mensch lebt, desto höher ist sein Krebsrisiko. Doch wenn man - Statistiker können dies glänzend - den sogenannten Altersaspekt aus den Daten herausrechnet, so sei bei einigen Krebsarten in den vergangenen Jahren eine überaus erfreuliche Trendwende zu beobachten, schreiben die Experten.

Überraschend ist, dass beim Lungenkrebs, einer der gefürchtetsten Krebsarten, die Erkrankungszahlen rückläufig sind. Zwar merkt sich die Lunge frühe Sünden ziemlich lange, aber der Rückgang des Rauchens in den vergangenen Jahren schlägt in den Statistiken schon jetzt merkbar zu Buche. Allerdings zählt Lungenkrebs weiterhin zu denjenigen Krebsarten, die erst in einem späten Stadium diagnostiziert werden. Doch gelingt die interdisziplinäre Versorgung der Patienten durch lungenärztliche, strahlentherapeutische und chirurgische Kompetenz immer besser. Die Thoraxchirurgie hat heute Möglichkeiten, von denen Mediziner vor 20 Jahren nur träumten.

Früherkennung ist - das weist der Bericht eindeutig aus - ein entscheidender Faktor in vielen onkologischen Bereichen. Die Daten zeigen zum Beispiel einen Rückgang der Zahl der Diagnosen fortgeschrittener Tumoren bei Frauen durch das Mammografie-Screening an. Wenn Brustkrebs früh erkannt wird, sind die Aussichten derzeit, auch durch immer ausgeklügeltere therapeutische Möglichkeiten etwa der Molekularbiologie, überaus erfreulich. Der sogenannten individualisierten Medizin bietet sich hier eine große Angriffsfläche, von der immer mehr Frauen profitieren - und zwar für lange Zeit.

Zwar sind die Überlebensraten gestiegen, doch differieren die Chancen je nach Krebsart, Diagnose-Zeitpunkt und anderen Faktoren. Menschen, die an Krebs sterben, werden heute im Mittel etwa 74 Jahre alt - sie leben damit vier Jahre länger als noch 1980, erklärte RKI-Präsident Lothar Wieler. Patienten mit Bauchspeicheldrüsen- oder Leberkrebs haben dem Bericht zufolge aber schlechtere Chancen als zum Beispiel jene mit Hodenkrebs.

In nicht wenigen Fällen hat sich beim Umgang mit der Diagnose Krebs eine gewisse Gelassenheit eingestellt, und das hat mit den immer älter werdenden Männern zu tun. Zwar ist die Zahl von Prostatakarzinomen auch durch Früherkennungsprogramme wie das PSA-Screening nicht nennenswert gesunken. Aber weil bei Senioren der Krebs der Vorsteherdrüse in sehr vielen Fällen nur langsam wächst, muss man diese Patienten oft gar nicht mehr operieren, sondern nur regelmäßig beobachten. Dagegen registrieren Urologen mit Sorge, dass die Bereitschaft von Männern, sich überhaupt am PSA-Screening zu beteiligen, vor sich hindümpelt, was sogar Studien gefährdet. Viele Männer fürchten, im Fall einer Totaloperation impotent und inkontinent zu werden. Die Wahrheit ist auch hier: Je früher ein Prostatakrebs gefunden wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass man ihn nervenerhaltend operieren kann.

Wer an Krebs leidet, fällt für eine gewisse Zeit im Berufsleben aus, obwohl viele Patienten sich danach sehnen, ihre Arbeit wieder aufnehmen zu können; dies gelingt in den meisten Fällen auch. Gleichwohl war 2013 in mehr als 200.000 Fällen Krebs die Ursache für Arbeitsunfähigkeit, bei jedem achten Pflegefall die Begründung für die Pflege. In Deutschland leben aktuell rund vier Millionen Menschen, die in ihrem Leben schon an Krebs erkrankt sind.

Vorbeugen sei auch hier die beste Medizin, sagt Gröhe. Viele Krebserkrankungen lassen sich mit gesundem Lebensstil vermeiden. Risikofaktoren, die auch im Krebsbericht genannt werden, sind unter anderem Alkohol und Tabak, Übergewicht, Bewegungsmangel und UV-Strahlung. Und zwei Krebsarten lassen sich ganz sicher vermeiden: Haut- und Darmkrebs. Wer sich hier beim Arzt regelmäßig untersuchen lässt, der muss sich überhaupt keine Sorgen machen.

(w.g.)
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