Berlin Kohlestrom-Kompromiss zulasten der Stromkunden in Sicht

Berlin · Die Branche bietet die Abschaltung von fünf Gigawatt an - wenn sie entschädigt wird. Die Versorgungssicherheit ist nicht gefährdet.

Versorger und Umweltverbände entfachten eine wahre Lobbyisten-Schlacht, gestern war der Klima-Kompromiss zum Greifen nahe: Die Forderung der Grünen, 20 besonders dreckige Kraftwerke - und das sind naturgemäß vor allem Braunkohle-Blöcke von RWE - stillzulegen, ist vom Tisch. Das geht aus dem Papier "Ergebnis der Sondierungsgespräche" hervor. Die Grünen fordern jetzt nur noch, dass die Kohleverstromung bis 2020 um acht bis zehn Gigawatt reduziert wird. Union und FDP bieten eine Reduzierung um drei bis fünf Gigawatt an. Am Ende dürfte man bei sechs bis sieben Gigawatt landen.

Tatsächlich hat Deutschland viel Spielraum: Derzeit haben konventionelle Kraftwerke eine Kapazität von 100 Gigawatt, Deutschland hat einen üblichen Bedarf von 80 Gigawatt. Das heißt, selbst wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint, ist das konventionelle Rückgrat derzeit stark genug. Bis 2022 fallen jedoch die Atomkraftwerke weg. Die Denkfabrik Agora Energiewende fordert daher, mehr (teure) Gaskraftwerke zu nutzen, die aktuell wegen der niedrigen Strompreise und billigen Kohle-Konkurrenz nicht genutzt werden.

Welche Spielräume es gibt, zeigt die gestrige Offerte des Branchenverbands BDEW: Danach bieten Stromkonzerne an, Kohleblöcke mit einer Kapazität von bis zu fünf Gigawatt stillzulegen - wenn sie dafür angemessen entschädigt werden. Man darf davon ausgehen, dass hierbei eine Marge für die Verhandlungsnacht einkalkuliert ist.

Der Branche geht es um Geld und die Freiheit, zu bestimmen, wo sie stillegt. Schon beim Klimastreit 2015 wurde ein Kompromiss zulasten der Verbraucher gefunden: Die Braunkohleverstromer RWE, Vattenfall und Mibrag erhalten von Stromkunden für die Abschaltung von acht Kraftwerken 1,6 Milliarden Euro. Noch wehren sich die Grünen gegen eine Wiederholung. Doch längst gibt es Forderungen von Verbänden, die Finanzierung der Energiewende auf Steuern umzustellen.

Auch die Stromversorgung ist nicht bedroht. "Die Versorgung bleibt auch sicher, wenn sich 2020 eine Dunkelflaute wie Anfang 2017 einstellen sollte. Und wenn 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht", heißt es in einer Analyse von Netzagentur und Wirtschaftsministerium. Und das selbst dann, wenn das Land keinen Strom importiert. Mehr noch: "Eine Stilllegung von Kohlekraftwerken könnte die Versorgungssicherheit sogar steigern." Begründung: Blackouts drohen vor alllem, wenn zu viel Strom im Netz ist und es überlastet ist. Zu viel Strom ist vor allem dann im Netz, wenn viel Wind weht. Die Netzagentur soll sich von der Analyse allerdings distanziert haben und sich vom grünen Wirtschafts-Staatssekretär Rainer Baake überrumpelt fühlen, berichtet die "FAZ". Die Lobbyisten-Schlacht geht weiter.

(anh)
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