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Analyse Kleinlaut für den Freihandel

Brüssel/Washington · Ausgerechnet im Exportland Deutschland sammeln sich die Gegner des amerikanisch-europäischen Freihandelsabkommens TTIP. Dabei würde es für beide Seiten eine neue Wirtschafts-Ära eröffnen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ist ein großer Vorkämpfer für die Rechte des Parlaments. Doch ausgerechnet an den USA, der großen demokratischen Nation, beißt sich der zweithöchste Repräsentant des deutschen Staats die Zähne aus. Knapp und unfreundlich beschied ihm US-Botschafter John Emerson, dass nur ausgewählte Regierungsvertreter Einblicke in die konsolidierten Vertragstexte des transatlantischen Freihandelsabkommens bekommen könnten. "Ein erweiterter Zugang ist nicht vorgesehen", erklärte der US-Diplomat kühl.

Das Nachsehen haben die deutschen Bundestagsabgeordneten, die sich nun nicht aus den Originaltexten zum geplanten Freihandelsabkommen informieren können. "Das ist eine Fortsetzung der Hinterzimmermauschelei", schäumt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. "Mit Demokratie sind solche intransparenten Verfahren nicht vereinbar", ereifert sich der frühere Linken-Chef Klaus Ernst.

Das ist typisch für das größte wirtschaftspolitische Projekt der Europäer nach Einführung des Euro: Da wollen die EU und die USA einen großen Binnenmarkt mit 800 Millionen Konsumenten und einem Handelsvolumen von einer halben Billion Euro schaffen, der obendrein fast die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung umfasst. Da geht es um nicht weniger als eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, die "Transatlantic Trade and Investment Partnership" (TTIP), wie das Abkommen heißt. Da soll eine neue Ära in den Wirtschaftsbeziehungen beider Regionen beginnen. Und die Verhandlungspartner geben sich zugeknöpft, elitär und lassen eine ratlose und scheinbar uninformierte Öffentlichkeit zurück.

Die Kritiker wie der frühere Greenpeace-Chef und heutige Vorsitzende von Foodwatch, Thilo Bode, haben es leicht, von der "Freihandels-Lüge" zu sprechen. Fast ohne Gegenwehr stellen Bode und seine Mitkämpfer TTIP gleichsam als Werk des Bösen dar: Die vorbildlichen Arbeits-, Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutzbestimmungen hierzulande sollen geschleift, die nationale Justiz amputiert und sogar die Fundamente der Demokratie unterhöhlt werden. Die Befürworter reagieren auf solche Vorwürfe mit einer kleinlauten Aufklärungskampagne und wie zuletzt die schwedische EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström mit ungläubigem Erstaunen. Sie müsse die Deutschen ja nicht überzeugen, sagte sie unlängst unserer Zeitung. Aber wer sollte es sonst tun?

Tatsächlich bringt der neue Freihandelsvertrag große ökonomische Vorteile. Es ist nicht einmal so sehr das zusätzliche Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 119 Milliarden Euro oder die 400 000 neuen Jobs, die Experten als Folge des neuen Binnenmarkts erwarten. Die machen gerade mal 0,5 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung auf europäischer und 0,4 Prozent auf amerikanischer Seite aus. Der entscheidende Schub dürfte durch die Größe des Marktes und die gemeinsamen Standards erfolgen. Ein Binnenmarkt über den Atlantik hinweg würde eine neue Innovationsdynamik in Gang setzen. Viele "heimliche" Weltmeister müssten nicht mehr die teuren Prozeduren der Produktprüfung gleich mehrfach durchlaufen. Das macht neue Verfahren und Produkte viel attraktiver.

Zugleich haben die Europäer die Chance, bei der Festlegung der Standards ein Wörtchen mitzureden. Wer Standards setzt, dominiert den Markt, wusste schon Bill Gates, der sein Betriebssystem Windows mit dieser Regel zum Maßstab aller Computerprogramme machte. In vielen Branchen - Telekommunikation, Computerdienste, Elektronik - spielen die Schnittstellen oft die entscheidende Rolle. Mit TTIP wären Europäer und Amerikaner auf Augenhöhe.

Die Gegner befürchten gerade hier Ungemach. Wenn US-Produkte wie Chlorhühnchen oder Hormonfleisch die amerikanischen Standards erfüllen, könnten sie auch auf dem europäischen Markt angeboten werden. Das wäre das Ende des scharfen europäischen Umwelt- und Gesundheitsrechts. Doch so einfach ist die Sache nicht. Erstens könnten Verbraucher durch eine eindeutige Kennzeichnung geschützt werden. Zweitens bleiben alle bisherigen Schutzbestimmungen bestehen. Das hat die EU-Kommission unmissverständlich garantiert.

Doch es gibt auch ernste Probleme. Die Vertragspartner wollen ein "lebendiges Abkommen". Das heißt, das Vertragswerk soll nicht ein für allemal feststehen, sondern sich mit der Technologie und neuen politischen Rahmenbedingungen wandeln. Das ist juristisches Neuland und gibt Experten eine ungeheure Macht. Vorbei an allen demokratischen Instanzen können sie Standards austauschen, Ergänzungen und Änderungen vornehmen. Erhalten sollen diese Macht der Rat für regulatorische Kooperation und der ministerielle Ausschuss. Transparenzregeln sind für diese Gremien nicht festgelegt. Erst vor Kurzem hat die Nichtregierungsorganisation Foodwatch das Protokoll eines deutschen Regierungsmitarbeiters veröffentlicht, in dem dieser das Bundeswirtschaftsministerium vor der Macht der unkontrollierten Experten warnt.

Auch die internationalen Schiedsgerichte, die außerhalb der nationalen Rechtsprechung beim Streit über Vertragsinhalte entscheiden sollen, bereiten vielen Politikern Kopfschmerzen. Sie gelten als Misstrauensvotum gegen den Rechtsstaat. Doch so schwer diese Probleme wiegen: Es gibt Lösungen, die die Macht von Schiedsgerichten und Expertenkommissionen eindämmen. Die Vorteile des Freihandelsabkommens wiegen schwerer. Oder anders: Wenn sich die Amerikaner von TTIP abwenden, werden sie umso stärker die pazifische Karte mit China und Japan spielen. Europa hätte das Nachsehen.

(RP)
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