Christoph Schmidt "Jetzt die Ruhe bewahren"

Der Chef der Wirtschaftsweisen sieht keine Wiederholung der Lehman-Krise.

Was bedeutet das Abstimmungs-Ergebnis für Großbritannien?

Schmidt Für die Realwirtschaft wird es kurz- und mittelfristig voraussichtlich zu erheblichen Wachstumseinbußen kommen. Diese dürften sich vor allem aufgrund von negativen Vertrauenseffekten und Einbußen beim internationalen Handel ergeben. Auch der Verlust des Zugangs zum Binnenmarkt und die damit verbundene Unsicherheit werden die Wirtschaft Großbritanniens schwächen. Die Politik wird dann insbesondere mit den negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die öffentlichen Haushalte umgehen müssen. Zudem wird die Zeit zeigen, ob dieser Schritt nicht auch den Zusammenhalt innerhalb Großbritanniens schwächt.

Was bedeutet das Ergebnis für die deutsche Wirtschaft?

Schmidt Die deutsche Wirtschaft hat intensive Handelsbeziehungen mit Großbritannien, deshalb wird das britische Ausscheiden aus der EU an Deutschland nicht spurlos vorübergehen. Auch für die anderen EU-Mitgliedsstaaten werden die wirtschaftlichen Folgen ganz eng damit zusammenhängen, wie intensiv die Verflechtungen bislang schon waren. Trotzdem denke ich, dass die größten Probleme für Großbritannien selbst entstehen werden, nicht für Deutschland und die anderen EU-Mitgliedsstaaten.

Droht jetzt eine neue Weltwirtschaftskrise?

Schmidt Meiner Einschätzung nach zeichnet sich zumindest im Augenblick nicht ab, dass der Brexit so weitreichende Folgen haben wird. Im Gegensatz zur Pleite der Lehman-Investmentbank vor acht Jahren handelt es sich hier ja nicht um ein plötzliches Ereignis, sondern um eines, das schon eine Weile im Raum stand. Wichtig ist jetzt, die Ruhe zu bewahren. Das gilt auch für die Mitgliedsstaaten der EU. Ich hoffe sehr, dass die Vernunft siegt und der langfristige Zusammenhalt Europas durch den Austritt Großbritanniens nicht gefährdet wird.

Was muss die EU jetzt tun im Umgang mit Großbritannien?

Schmidt Im Umgang mit Großbritannien werden zunächst umfangreiche Verhandlungen notwendig sein, denn ein Austritt aus der EU lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Viele Dinge müssen neu verhandelt werden. Dabei dürfte schon klar sein, dass die EU gegenüber Großbritannien nicht allzu nachgiebig sein darf, um nicht einen Trend zum Rosinenpicken in Gang zu setzen.

Was muss die EU zum Erhalt der Gemeinschaft tun?

Schmidt Mit Blick auf den nachhaltigen Zusammenhalt der verbleibenden Mitgliedstaaten sollte die EU sich wieder mehr auf das Prinzip der Subsidiarität besinnen. Nur so lässt sich das doppelte Versprechen der europäischen Integration wirklich einlösen, Frieden und Prosperität zu sichern. Das bedeutet, dass nur jene Dinge europäisch geregelt werden sollten, für die eine gemeinschaftliche Herangehensweise vernünftig ist, wie die Frage der Asylpolitik. Entsprechend sollten jene Themen auf Ebene der Mitliedstaaten bearbeitet werden, bei denen die nationalen Regierungen in der Verantwortung stehen, etwa Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt.

ANTJE HÖNING STELLTE DIE FRAGEN.

(RP)
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